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Die „Tanke“ – Eine Kultur- und Technikgeschichte der Tankstelle im 20. Jahrhundert


Tankstellen sind reale Orte der Automobilität und des Konsums. Zugleich sind sie Orte mit sich wandelnder symbolischer Bedeutung. So standen Tankstellen z.B. in den 1930er Jahren für das Versprechen zukünftiger Automobilität, in den 1950er Jahren hingegen für das Wirtschaftswachstum. Ziel meines Projektes ist es, Tankstellen als zentrale Orte des 20. Jahrhunderts zu untersuchen.


Konzeptionell wird die Tankstelle als Ort des 20. Jahrhunderts mit verschiedenen Funktionen und Zuschreibungen betrachtet. Der stetige Wandel ihrer Funktionen und Bedeutungen, die sich im Laufe der Zeit veränderten und neu verhandelt wurden sowie sich verschoben, überlagerten, verschwanden und teilweise in veränderter Form wiederkehrten, stehen im Zentrum des Forschungsinteresses. Ich frage danach, wie sich Tankstellen im 20. Jahrhundert entwickelten. Die Tankstelle ist gleichsam ein Brennglas, um zentrale Entwicklungen des 20. Jahrhunderts zu analysieren: Den Wandel und die Veränderungen von u.a. Verkehrsinfrastruktur, Mobilität, Konsum, sozialer Konventionen, gesellschaftlicher Rollenbilder, Umweltbewusstsein und ästhetischem Zeitgeschmack.


Der Untersuchungszeitraum umfasst die Zeit zwischen 1900 und 1980. Die Entwicklung von den ersten Tankmöglichkeiten, z.B. durch Tankwagen, Hinterhoflagern und Bürgersteigpumpen, bildet den Anfangszeitpunkt. Die erste Tankstelle im eigentlichen Sinne wurde 1927 gebaut, die nach Joachim Kleinsmann durch die folgenden Eigenschaften baulich charakterisiert waren: Trennung der Tankstelle vom fließenden Verkehr durch Zu- und Abfahrt; Tankwart- und Kundenraum; „[v]orgelagerte, leicht erhöhte Tankinsel mit zwei oder mehr Zapfsäulen für verschiedene Kraftstoffarten“; Schutzdach (auf Stützen ruhend) zur Überdachung der Tankinsel; Beleuchtung (insbesondere Nachts) zur Werbung; an das Tankwartshaus seitlich angelagerte Hallen für Wagenwäsche-, -wartung und -reparatur (zuvor im Freien durchgeführt).[1] Den Endpunkt der Untersuchung bilden die 1980er Jahren. In dieser Zeit fand, so meine These, eine erste „Schließung“ der Tankstelle als architektonischer und funktionaler Ort statt. Im Gegensatz zu den architektonisch eindrucksvollen Tankstellen der 1950er und 1960er Jahren, die als „Benzinpaläste“[2] mit häufig imposanten Spannbetondächern als Sinnbild einer neuen Zeit und des kulturellen Stellenwertes des Autos sowie der Automobilmobilität zu sehen sind, setzte sich in den 1980er Jahren ein Tankstellentyp durch, der hinsichtlich seiner Funktion eine (vorläufige) Schließung (closure) erfuhr. Bernd Poster nennt diesen Typ „Großdach-Tankstelle“. Architektonisch zeichnet sich dieser Typ durch ein „großflächiges und von wenig Stützen getragenes Flachdach, das den Tankraum überspannte, sowie de[n] davon getrennte[n], wesentlich kleinere Gebäudeblock“ aus.[3] Die einfache und funktionale Dachkonstruktion bestand aus Metall, dass mit den jeweiligen Firmenfarben verkleidet wurde. Die Tankinsel(n) befanden sich unter dem Dach. Der Verkaufsraum wurde architektonisch häufig davon abgelöst. Er variierte hinsichtlich seiner Größe und dem Angebot. Tankstellen diesen Typus unterschieden sich im Wesentlichen nur noch hinsichtlich ihrer Farbgestaltung.[4] Funktional erfuhr die Tankstelle ebenfalls eine Schließung. 1980 war fast jede zweite Tankstelle (44%) eine Selbstbedienungstankstelle, an der die Autofahrer selbst ihr Benzin zapften. An ihnen wurden 80% des Treibstoffes abgesetzt.[5] Damit war das Ende der Bedientankstelle eingeläutet. Der Tankwart als Beruf begann zu dieser Zeit auszusterben. Spätestens in den 1980er Jahren wurde der Treibstoffverkauf, wie bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wieder zum Nebenerwerb. Die Tankstellen wandelten sich zu Mini-Supermärkten, in deren Verkaufsraum verschiedenste Güter angeboten werden. Je nach Lage und Größe wurde den Tankstellen eine Waschstraße angegliedert. Der technisch versierte Tankwart findet sich nun als Kassierer, häufiger als Kassiererin im Verkaufsraum hinter der Theke wieder.


In einer Überblicksdarstellung wird die allgemeine Entwicklung von Tankstellen zwischen 1930 und 1980 in Deutschland, ab 1949 der BRD, untersucht. Konzeptionell wird die Tankstelle als Ort des 20. Jahrhunderts mit verschiedenen Funktionen und Zuschreibungen betrachtet. Die Geschichte der Tankstelle wird in einem Überblickskapitel behandelt, indem die generelle Entwicklung der Tankstelle in Deutschland und der BRD dargestellt wird. Nach dieser Überblicksdarstellung wird mit Hilfe des analytischen Begriffs Ort den verschiedenen Funktionen von Tankstellen nachgegangen.


[1] Kleinsmann, Joachim: Super voll! Kleine Kulturgeschichte der Tankstelle. Marburg 2002, 51.
[2] Cordes-Strehle, Antraud: Ausstellung „Abgetankt“ in Düsseldorf. Früher Benzinpalast – heute Ruine. In: tagesschau.de, tagesschau 12:00 Uhr, 1:21 Minuten, 10.03.2015, URL: http://www.tagesschau.de/kultur/ausstellung-tankstellen-101.html [Stand 25.03.2015].
[3] Poster 1996, 136.
[4] Vgl. auch: Jakle, John/Sculle, Keith A.: The Gas Station in America. Baltimore 1994.
[5] Kleinsmann 2002, 118.

Dr. Sonja Petersen, Akad. Rätin a. Z.
Schriftleitung Technikgeschichte


Universität Stuttgart Historisches

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