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Netzwerk Gesundheit und Kultur in der volkskundlichen Forschung
06.10.2016-07.10.2016, Göttingen, Institut für Ethik und Geschichte in
der Medizin
Deadline: 15.04.2016

Mensch-Technik-Interaktion in medikalisierten Alltagen

Technik gehört untrennbar zu allen Bereichen des modernen Lebens. Das
Miteinander von Mensch und Technik verändert sich unentwegt durch die
fortschreitende Technisierung: Es entstehen neue Praktiken und neues
Wissen, die Grenzen von Lebendig und Nicht-Lebendig werden neu
verhandelt und bilden ein interdisziplinäres Forschungsfeld (ANT, STS,
Cultural Studies, Ethnologie, Medizinethik etc.). In der Medizin (sowie
verwandten Wissenschaften wie den Neurowissenschaften) dient Technik
mehr und mehr zur Erforschung des menschlichen Körpers und dessen
künstlicher Optimierung. Die Mensch-Technik-Interaktion kann dabei u. U.
invasiv sein und auch in den menschlichen Leib eindringen, wodurch
veränderte Routine-Praktiken hervorgebracht werden.
Kulturwissenschaftliche Forschungen widmen sich dabei zentralen Fragen,
wie sich Technik in Kultur, Gesellschaft und den Menschen selbst
einschreibt und welchen Einfluss sie auf unterschiedliche Lebenswelten
und Alltage hat.
In medizinanthropologischen wie medikalkulturellen Themenbereichen haben
sich bezogen auf den menschlichen Alltag u.a. folgende Schwerpunkte
herausgebildet: So findet seit Jahren eine kontroverse Debatte zum
'human Enhancement' vor dem Hintergrund verschiedener Konzepte von
Krankheit und Gesundheit statt. Die in modernen Alltagen stetig
intensiver werdende Interaktion eines oder mehrerer Benutzer mit einem
Computer sowie die Nutzung von Computersystemen zur Unterstützung der
Kommunikation zwischen Menschen (Mensch-Computer-Mensch-Interaktion)
erweitert auch die Möglichkeiten, (medikaler) Selbsttechnologien und
Disziplinierungspraktiken: Im Segment der Mobile-Health werden stetig
Geräte (Artefakte) hervorgebracht, durch die - verbunden mit Smartphone
oder Tablet - Gesundheitszustände überwacht oder Krankheitssymptome
kontrolliert werden können. Im Sinne von Selbsttechnologien und
Disziplinierungspraktiken erinnern sie an die Einnahme von Medikamenten,
warnen vor Herzrasen oder überwachen den Schlaf. Medikale Objekte und
bspw. Artefakte des Alltags (Kommunikationsobjekte, Kleidung) werden in
diesem Kontext kombiniert, etwa in Form von aufsteckbaren Aufsätzen für
das Mobiltelefon, die Blutdruck oder Blutzucker messen.
Alltagsgegenstände werden so zu High-Tec-Objekten z.B. als wearbles
("tragbare Computer"), und werfen Fragen nach neuen Ausformungen einer
Technisierung im Alltag sowie dem Umgang, der Aneignung und der
Bewertung dieser Technologien auf. Die Alltagsnutzung dieser Technik
erlebt somit einen Wandel: weg vom reinen Werkzeug hin zum persönlichen
Begleiter (oder sogar emotional verbundenem Ding). Die emotionalen und
sozialen Faktoren solcher Mensch-Maschine-Interaktion scheinen immer
wichtiger zu werden und werfen vielfältige Fragen fernab eines Schutzes
der Privatsphäre auf. Die kulturwissenschaftliche Perspektive mit ihrem
methodischen Instrumentarium kann beobachten und untersuchen, was
entsteht, wenn wir auf medikale Technik im Alltag treffen bzw. diese
integrieren.

Demgegenüber gewinnen im Bereich der Pflege und Versorgung
Assistenzsysteme und Roboter stetig an Bedeutung, um älteren Personen
mit nachlassenden geistigen und körperlichen Kräften oder Personen mit
körperlicher Behinderung das selbstbestimmte Leben in den eigenen vier
Wänden zu ermöglichen. Es ist ein enormer Markt für aktive Geh- und
Mobilitätshilfen, selbstfahrende Rollstühle, Betreuungs-, Hilferuf- und
Kommunikationsroboter, sensorgestützte Arme zur Hilfe beim Essen und
Trinken entstanden. Die Ambient Assisted Living (AAL) Forschung verweist
dabei, Alterungsprozesse und unterstützende Technologien nur gemeinsam
zu gestalten. Im Rahmen der Disability Studies werden durch neue Formen
der Mensch-Technik-Interaktion die Grenzen zwischen Normalität und
Abweichung neu vermessen und alte Differenzierungskategorien in Frage
gestellt.

Das 17. dgv-Netzwerktreffen 2016 widmet sich diesem volkskundlichen,
kultur- und medizinanthropologischen Feld der
"Mensch-Technik-Interaktion in medikalisierten Alltagen" und stellt
folgende Fragen ins Zentrum der Betrachtung: Welche kulturellen
Praktiken gehen aus der Mensch-Technik-Interaktion hervor und wie
beeinflussen diese das Verständnis von Krankheit und Gesundheit? In
welchem Zusammenhang stehen diese zu intersektionalen
Identitätskategorien (Gender, Religion, Klasse etc.)? Welche Körper- und
Leibverständnisse werden in den Interaktionspraktiken artikuliert?
Angesprochen sind WissenschaftlerInnen aus den Bereichen
Volkskunde/Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie, Soziologie,
Geschichte, Ethnologie, Geschlechterforschung, Medizin, Psychologie und
anderen Disziplinen, die sich aus kulturwissenschaftlicher Perspektive
mit diesen Fragen auseinandersetzen. Darüber hinaus fördert das Netzwerk
insbesondere Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler
und regt zum interdisziplinären Austausch an. Wie auch bei den
vergangenen Tagungen sind Kolleginnen und Kollegen in verschiedenen
Qualifizierungsphasen (BA/MA/Magister/Diplom/Dissertation/Habilitation)
explizit angesprochen, ihre Fragestellungen/Methoden/Ergebnisse im
Rahmen der Netzwerktagung zum Thema "Mensch-Technik-Interaktion"
vorzustellen und zu diskutieren.

Wir hoffen, mit dem gewählten Themenschwerpunkt viele Kolleginnen und
Kollegen anzusprechenund bitten um entsprechende Themenvorschläge für
Vorträge von 30 Minuten Länge aus dem gesamten Bereich
kulturwissenschaftlicher Forschung.

Interessierte werden gebeten, ihren Vortragsvorschlag kurz zu skizzieren
(500 Wörter) und bis zum 15. April 2016 bei Sabine Wöhlke
() oder Anna Palm
() einzureichen. Auch Anmeldungen zur
Teilnahme ohne Vortrag sind willkommen.

Das Treffen soll auf die bekanntermaßen entspannte und offene wie
gleichzeitig auch arbeitsintensive Art durchgeführt werden und in
Göttingen in der Abteilung Ethik und Geschichte der Medizin der
Universität stattfinden. Es wird eine Teilnahmegebühr von 30 Euro
erhoben; Kosten für Reise und Unterkunft können leider nicht
rückerstattet werden. Für alle Teilnehmenden werden zeitnah
Programminformationen sowie Anreise- und
Unterkunftsinformationenversandt.

Wir freuen uns auf ein interessantes Netzwerktreffen 2016!

Sabine Wöhlke und Anna Palm
Sprecherinnen des dgv-Netzwerks Gesundheit und Kultur in der
volkskundlichen Forschung

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Sabine Wöhlke

Institut für Ethik und Geschichte in der Medizin
Humboldtallee 36
37073 Göttingen

Homepage <http://www.netzwerk-gesundheit-kultur.de/>

Wir freuen uns über Hinweise auf weitere Call for Papers, Kontakt: