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Verwissenschaftlichung, Institutionalisierung und Professionalisierung in der Automobilindustrie am Beispiel der Akustik- und Schwingungskomfortentwicklung bei der Daimler-Benz AG

Mit den gewachsenen Ansprüchen an das Automobil veränderten sich in dessen Geschichte Gestalt, technische Eigenschaften und der durch Akteursgruppen beigemessene Charakter, beispielhaft die Entwicklung der frühen elitären „Abenteuermaschine“ (Begriff durch Gijs Mom geprägt) hin zu einem Artefakt des täglichen Gebrauchs, welches mit der gesamten Familie „genossen“ werden konnte [1]. Die Zwischenkriegszeit stellte dabei einen entscheidenden Einschnitt dar, in der sich phasenweise im gesamten transatlantischen Raum Transformations- und Diffusionsentwicklungen im Zusammenhang mit der Mobilitätsmaschine Automobil abspielten [2]. Komfort war dabei das Leitprinzip [3]. Das neue Fahrerlebnis sollte in den Komfortdimensionen äquivalent zur Erfahrung des „Schwebens“ in der Aviatik sein. Mit der Innenraumabschliessung („Cocooning“ [4]) wurde die „Abenteuermaschine“ gezähmt und erreichte ein neues Bequemlichkeitsniveau. Dafür war es nötig, komplett neue Wege in der Fahrzeugentwicklung zu beschreiten, da die Abschließung zuallererst zu neuen akustischen Diskomfortempfindungen führte, die bei offenen Fahrzeugen unbekannt waren. Generell waren die Ansprüche der neuen Nutzerkreise (v.a. Mittelschichtsfamilien) bequemlichkeitsorientierter geworden. Das Automobil unterlag dabei in seiner Anwendung einer Deprofessionalisierung. Als Ergebnis unterlag automobiler Komfort einer Verwissenschaftlichung und Institutionalisierung, deren Evolution bis in die Gegenwart andauert.
Das Dissertationsprojekt soll den Zeitraum von Beginn ebendieser Professionalisierung bis zu den Zäsuren der 1980er Jahre (massive Digitalisierung, weit fortgeschrittenes Komfortniveau schon ab der PKW-Mittelklasse sowie die Etablierung der „Experience Society“ [5]) abdecken und dabei exemplarisch für diese Entwicklungen die Daimler-Benz AG in den Blick nehmen, mit der Aussicht, neue Perspektiven innerhalb bestehender Diskurse aufzeigen zu können. Da die historische Aufarbeitung zu diesem Thema unvollständig scheint [6], ist hier Gelegenheit, Lücken zu dieser Thematik zu schließen.  Neben der Auswertung traditioneller Quellen (Archivbestände in Forschung und Industrie, Fachzeitschriften und historische Monographien) sowie der einschlägigen Sekundärliteratur, bieten sich bei diesem Projekt auch Zeitzeugeninterviews an.
Die historische Auseinandersetzung mit Akustik, Vibrationen und Schwingungen sowie den verwandten Komfortkategorien, sollen in ihrer Qualität jeweils phasenweise betrachtet werden.  Im Ergebnis sollen somit Entwicklungslinien erkennbar gemacht werden, die die institutionalisierte und professionalisierte Auseinandersetzung mit diesen Kategorien nachzeichnen (u.a. Aufbau und Vernetzung der „scientific community“), was im Ergebnis nur durch die Anwendung wissenschaftlicher Methoden möglich war.
 
[1] Vgl. Heine, Hartwig u. Mautz, Rüdiger u. Rosenbaum, Wolf: Mobilität im Alltag. Warum wir nicht vom Auto lassen, Campus Verlag, Frankfurt [u.a.] 2001, S. 39ff.
[2] Vgl. Mom, Gijs: Diffusion and technological change. Culture, technology and the emergence of a “European Car”, in: Baten, Jörg [u.a.]: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte. Verkehrsgeschichte auf neuen Wegen / Transport infrastructure and politics, Bd. 2007/1, Akademie Verlag, Berlin 2007, S. 67-82.
[3] Vgl. Mom, Gijs: Atlantic automobilism. The emergence and persistence of the car, 1895 – 1940, Berghahn Books, New York [u.a.]  2015, S. 381ff.
[4] Vgl. Bijsterveld, Karin (Hg.): Sound and safe : a history of listening behind the wheel, Oxford Univ. Press, New York [u.a.] 2014, S. 175.
[5] Vgl. a. a. O. S. 164ff.
[6] Vgl. Mom, Gijs: The evolution of automotive technology. A handbook, SAE International, Warrendale, 2014, S. 256-257.


Claus-Carsten Andresen                                        

Mercedes-Benz Cars Development
Prüffeld NVH, Aerodynamik und Thermomanagement
RD/FNW
Daimler AG
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