007.png
Arne Andersen

Um sich zum Verhältnis beider Spezialdisziplinen der Geschichtswissenschaft zu äußern, ist es zunächst notwendig, das Verständnis von der jeweiligen Disziplin zu klären.
Ich halte mich dabei bei der Technikgeschichte an die Aufgabenbereiche, die ihr Lucien Febvre (Annales-Schule) schon 1936 gegeben hat:
 

- eine technische Geschichte der Technik zu konstituieren

- das Verhältnis von Wissenschaft und Anwendung zu klären und

- den Platz der technischen Aktivitäten innerhalb der anderen menschlichen Aktivitäten zu bestimmen oder

- genauer ihren Anteil in einer Histoire des Civilisations zu untersuchen.


Ich benutze bewußt nicht den Ausdruck einer »Sozialgeschichte der Technik«, da er für mich nicht eindeutig definiert ist, und es dabei die Tendenz gibt, die Eigendynamik von technischen Systemen bzw. technischem Wissen und Können zu negieren.
 
In der Umweltgeschichte stehen sich zwei Positionen gegenüber, eine, die man eher als human-ökologischen, systemtheoretischen Ansatz bezeichnen kann, wie er am prononciertesten von Rolf Peter Sieferle vertreten wird. Der zweite Ansatz (wie ihn u.a. Radkau , Pfister und ich verfolgen) ist am ehesten mit sozial-ökologisch zu bezeichnen. Für mich sollte sich Umweltgeschichte mit dem Mensch-Natur-Verhältnis, der gesellschaftlichen Naturaneignung, beschäftigen. Dies schließt Produktions- und Reproduktionsverhältnisse ebenso ein wie deren mentale und kulturelle Verarbeitung.
 
Mit der von mir gegebenen Definition nimmt die Umweltgeschichte in der Geschichtswissenschaft neben der Sozialgeschichte den zweiten zentralen Platz ein. Während erstere grundlegend die gesellschaftliche klassen-, schichten- und geschlechterspezifische Ausformung untersucht, widmet sich die Umweltgeschichte der zweiten grundlegenden Konstitutionsbedingung von gesellschaftlichen Formierungen, den gesellschaftlichen Naturverhältnissen. Historische Untersuchungen, egal in welcher Subdisziplin sie sich einordnen, können sich zunehmend der Frage nach den verändernden Beziehungen zwischen Gesellschaft und Natur nicht entziehen.
 
Technik- und Umweltgeschichte sind eng miteinander verzahnt. Die Entwicklung der Technik ist die humanoide Antwort im Überlebenskampf der Arten in einer vorgefundenen Umwelt. Deshalb hat die Umweltgeschichte einen ihrer Ursprünge in den Überlegungen von Technikhistorikern.
 
Während Technikgeschichte aber noch immer in großen Teilen dem Fortschrittsparadigma anhängt, ergeht sich die Umweltgeschichte in gleicher Weise einem »Niedergangs-Paradigma«. Eine der Aufgaben einer sich der gesellschaftlichen Verantwortung bewußten Geschichtswissenschaft bzw. einer Verknüpfung von Technik- und Umweltgeschichte könnte darin bestehen, Bewertungsmaßstäbe für die gesellschaftlich produzierten Naturveränderungen zu entwickeln. Zu Recht forderte deshalb Radkau Theorien mittlerer Reichweite. Diese müssen einen Reflexionsrahmen bieten und zudem eine Brücke schlagen können zwischen dem alten Modell »Geschichte als Fortschritt« und dem neuen »Geschichte als Niedergang«.
 
Eines dieser Konzepte kann die historische Technikfolgenabschätzung sein. Dabei geht es darum, ausgehend von aktuellen Diskursen historische Entscheidungen für bzw. gegen die Entwicklung und den Einsatz von Techniken sowie ihre Durchsetzung vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Wissensstandes zu beurteilen. Insoweit geht es in einem ersten Schritt darum, eine Technikbewertung vor dem Hintergrund des historischen Wissens zu vollziehen. In einem zweiten Schritt können diese Entscheidungen, die damit verbundenen Argumentationsmuster und die durch sie hervorgebrachten Mentalitäten auf ihre Bedeutung in aktuellen Diskursen überprüft werden. Beide Schritte müssen nicht notwendig miteinander verbunden sein. Eine entsprechende Verknüpfung von Technikgeschichte und Umweltgeschichte könnte deshalb 1. die Diskussion um historische Handlungsspielräume neu beleben und 2. Hilfen für aktuelle Technik- und Umweltdebatten liefern.