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Tunnelbau: Unterirdische Perspektiven

Technikgeschichtliche Tagung in Schaffhausen

9. bis 11. November 2007

Bericht von: Dr. Michael Farrenkopf, Bochum
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Die Schweiz gehört aufgrund ihrer Topographie zu jenen Ländern, in denen der Tunnelbau insbesondere seit der Industrialisierung und mit dem Ausbau der Eisenbahn große Bedeutung erlangt hat. Man denke nur an den Klang der Namen Gotthard und Simplon, jene Alpentransversalen, die gegen Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts mit 14,98 km und 19,80 km aufgefahren wurden. Auch heute integriert sich die Schweiz mit dem Bau der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) in ein wachsendes europäisches Schienen-Hochgeschwindigkeitsnetz. Innerhalb der NEAT wird seit den 1990er-Jahren von der AlpTransit Gotthard AG – einer hundertprozentigen Tochter der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) – der Gotthard-Basistunnel gebaut, der als Herzstück der neuen Bahnverbindung gilt und nach seiner Inbetriebnahme voraussichtlich im Jahre 2016 mit 57 km der längste Tunnel der Welt sein wird.

Nur einer von vielen guten Gründen für die Eisenbibliothek, Stiftung der Georg Fischer AG, mit Sitz im Klostergut Paradies in Schlatt bei Schaffhausen, Schweiz, die inzwischen 30. Technikgeschichtliche Tagung vom 9. bis 11. November 2007 unter das Motto „Tunnelbau: Unterirdische Perspektiven“ zu stellen. Ein ohnehin interessantes Programm wurde durch die abschließende Exkursion gekrönt, die den Großteil der insgesamt 76 Teilnehmer nach Amsteg und von hier aus durch einen Zugangsstollen in die im Bau befindlichen parallelen Röhren des Gotthard-Basistunnels führte.

Zunächst begrüßte Dr. Ernst Willi, Leiter der Unternehmensentwicklung und Mitglied der Konzernleitung der Georg Fischer AG, die Teilnehmer, indem er einer begriffsgeschichtlichen Herleitung des ursprünglich wohl aus dem Englischen stammenden Wortes Tunnel folgte. Der Tunnel sei dabei längst nicht allein ein technisches Objekt, sondern auch ein Sujet für bedeutende literarische Auseinandersetzungen, wie dies etwa Friedrich Dürrenmatt mit seiner surrealen Kurzgeschichte „Der Tunnel“ aus dem Jahr 1952 beweise.

Moderiert vom deutschen Länderdelegierten Prof. Dr. Manfred Rasch, Leiter des ThyssenKrupp Konzernarchivs, widmete sich der erste Teil der Tagung der Geschichte des Tunnelbaus aus einer primär technischen Perspektive. Den einleitenden Vortrag hielt Dr. Klaus Grewe, vormals Rheinisches Amt für Bodendenkmalpflege und sicher einer der versiertesten Kenner des antiken Tunnelbaus, zum Thema „Tunnel – Die Entwicklung der Technik von den Anfängen bis zur Mechanisierung“. Grewe spannte seine Ausführungen von den frühesten Beispielen Israels bis zu den nordalpinen Tunneln des Mittelalters. Besondere Bedeutung besitzt der 525 m lange Tunnel, der von Hiskia, dem König des Südreiches Juda, um etwa 700 v. Chr. erbaut wurde und noch heute begehbar ist. Das schätzungsweise 2500 m2 große Wasserbecken des Siloah-Teiches diente den Einwohnern von Jerusalem zur Zeit Jesu als Wasserspeicher. Im Putz entdeckten die Archäologen eine Münze aus der Hasmonäerzeit, die etwa 50 Jahre vor Christi Geburt geprägt wurde. Schon der Hiskia-Tunnel wurde laut Grewe im Gegenort-Verfahren und unter Verwendung von Kontrollmessungen errichtet, was ebenso für den etwa 600 v. Chr. erbauten Eupalinos-Tunnel auf der griechischen Insel Samos gelte. Der Eupalinos-Tunnel kann darüber hinaus als erster ingenieurmäßig durchdachter Tunnel der Antike angesehen werden, zeigt er doch gleich mehrere Systeme von Meßmarken, durch die sogar Planungsänderungen während der Bauzeit zu belegen und zu rekonstruieren sind.

Während für die Wasserversorgung des alten Israel durch Tunnelbauten Zugänge zu den außerhalb der Stadtmauern gelegenen Quellen geschaffen wurden, versorgte man im alten Iran mittels unterirdisch angelegter Kanäle die Oasen mit Trinkwasser. Eine oftmals kilometerlange Kette von Schächten wurde durch Stollenabschnitte verbunden und bildete einen so genannten Qanat, der als Wasserleitung diente. Die Qanatbauweise gelangte über die Etrusker in das Römische Reich, wo sie zur Vollendung gebracht wurde, was Grewe beispielhaft am Titus-Tunnel (69 bis 81 n. Chr.) im heutigen Çevlik, Türkei, und am Claudius-Tunnel am Lago Fucino in Italien erläuterte. Eine entsprechende Bauart wurde auch für den römischen Drover Berg-Tunnel bei Düren angewandt, der immerhin eine Länge von 1600 m erreichte und dessen Qanatschächte lediglich einen Querschnitt von 80 x 80 cm aufwiesen. Insgesamt machte Grewe klar, dass Tunnelbauten unter den Bodendenkmälern allein von der geringen Anzahl her eine herausragende Rolle einnehmen. Er schloss seine Ausführungen mit einer Beschreibung des wohl in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erbauten Blankenheimer Tiergarten-Tunnels, der zu einer äußerst seltenen Gattung unter den Technikdenkmälern des Rheinlandes zählt. Er steht von der Bedeutung her in einer Reihe mit dem römischen Drover Berg-Tunnel und dem hochmittelalterlichen Fulbert-Stollen am Laacher See.

Kilian T. Elsasser, Museumsfabrik Luzern und Schweizer Länderdelegierter der Technikgeschichtlichen Tagungen, wandte sich unter der Überschrift „Phänomen Tunnel“ in erster Linie den Tunnelbauten der Industrialisierung zu. Aus Sicht der Schweiz erkannte er vor allem fünf Sektoren, in denen der Bau von Tunneln im Zuge der Industrialisierung eine Rolle spielte. Hierzu zählten der Bergbau, die städtische Infrastruktur, unterirdische Verteidigungsanlagen, Zuleitungstunnel für Kraftwerke sowie Eisenbahntunnel. Für letztere behandelte er vor allem den Bau des ersten Gotthard-Eisenbahntunnels, der, zwischen 1872 und 1882 aufgefahren, nach seiner im Mai 1882 mit über 600 Gästen aus ganz Europa gefeierten Einweihung einen Tunneltourismus auslöste. Zugleich war der Bau dieses Tunnels ein wichtiges verkehrspolitisches Vorhaben nicht allein für die Schweiz, sondern auch für das Deutsche Reich und Italien. Hinter dem Argument hehrer Motive der Völkerverbundenheit standen insbesondere wirtschaftliche Interessen. Zugleich entwickelten sich im Zuge der Technikeuphorie an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert fantastische „Tunnelvisionen“, so etwa hinsichtlich einer Tunnelverbindung zwischen Europa und Amerika. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen zu den Eisenbahntunneln analog zur allgemeinen Verkehrsentwicklung auch in den Alpen zahlreiche Straßentunnel hinzu – so etwa mit dem in den 1970er-Jahren errichteten Gotthard-Straßentunnel –, und in der Tunnelmetaphorik spielte insbesondere die Zeitreise im so genannten time tunnel eine Rolle.

Noch spezieller widmete sich anschließend Dr. Hartmut Knittel vom Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim der „Vermessungstechnik und dem Bau des Gotthardtunnels im 19. Jahrhundert“. Er betonte zunächst die Internationalität des Ingenieurwesens bei diesem Tunnelprojekt, von dem nicht zuletzt auch die Schweizer Unternehmen zum Bau von Vermessungsinstrumenten nachhaltig profitierten. Die Vermessung des Gotthard-Tunnels war insofern eine Pionierleistung, als nur begrenzt auf Erfahrungen beim Bau des Semmering-Tunnels (1849 bis 1853) und des Mont Cenis-Tunnels (1857 bis 1872) zurückgegriffen werden konnte. Als Voraussetzung für ein möglichst exaktes Abstecken der Tunnelachse musste die Gotthardregion durch neu festzulegende Lage- und Höhenfestpunkte trigonometrisch mit Theodoliten und durch Nivellement mit Nivellierinstrumenten vermessen werden. Hierbei wurden als Besonderheit zwei unabhängige Vermessungen vorgenommen: Zunächst führte Otto Gelpke zwischen 1869 und 1871 die notwendige Triangulation durch, und eine unabhängige Kontrollmessung erfolgte von 1874 bis 1875 unter der Leitung von Carl Koppe.

Prof. Dr.-Ing. Heinz Walter Wild, Dinslaken, sprach anschließend zum Thema „Tunnelbau – Von der Empirie zur Wissenschaft“ und ging auch hier vor allem auf die Entwicklung der Neuzeit ein. Wild sah die Traditionen für den modernen Tunnelbau vor allem in dem reichen Erfahrungsschatz der Bergleute, den diese schon seit der frühen Neuzeit in der Auffahrung von legendären Stollenbauwerken wie etwa dem Rothschönberger Stollen im Erzgebirge oder dem Ernst-August-Stollen im Harz gewonnen hatten. Ein definitorisches Kriterium für einen Tunnel sei denn gerade im Unterschied zum bergmännischen Stollen mit nur einer Tagesöffnung, dass ein Tunnel an beiden Enden ins Freie mündet. Kamen nach Wild beim ersten Eisenbahntunnel-Projekt in Deutschland für die Dresden-Leipziger Eisenbahn Ende der 1830er-Jahre noch vor allem sächsische Bergleute zum Einsatz, löste sich der Tunnelbau in der Industrialisierung langsam von den bergbaulichen Erfordernissen. So waren für die Eisenbahntunnel in der Regel größere Querschnitte notwendig, ferner war die Errichtung des Tunnels alleiniges Ziel der Unternehmung und schließlich erfolgte die Auffahrung der Tunnelröhren anders als im Bergbau vorrangig in geologisch unbekanntem Gebirge. Als Folge entwickelte sich der Tunnelbau zunehmend zu einer eigenständigen Wissenschaft mit ausgewiesenen Fachleuten, wozu etwa der Pionier Franz Ržiha zählt, der 1867 in Berlin ein „Lehrbuch der gesammten Tunnelbaukunst“ veröffentlichte. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert war die Tunnelbautechnik vor allem durch zwei Innovationsstränge gekennzeichnet, einerseits die Mechanisierung der Bohr- und Vortriebsverfahren und andererseits die Effektivitätssteigerung der Sprengtechnik. Wild beschloss seine Ausführungen mit einer Kennzeichnung des aktuellen Stands der Tunnelbau-Wissenschaft, die heute als eigenständige und weltweit vernetzte Disziplin zwischen dem Bauwesen und der Bergbaukunde angesiedelt sei.

Die zweite Sektion der Tagung zur „Kulturgeschichte des Tunnelbaus“ wurde moderiert von Kilian T. Elsasser und begann mit einer von amüsantem britischem Understatement getragenen Schilderung der 200-jährigen Geschichte des Kanal-Tunnel-Projekts durch Lord Tony Berkley, ehemaliger Chairman der Rail Freight Group. Wenngleich seit Ende des 18. Jahrhunderts Visionen für eine Tunnelverbindung zwischen England und Frankreich entwickelt wurden, scheiterten diese ungeachtet der technischen Probleme auch und vor allem an politischen Vorbehalten. Berkley wusste dies durch eine Reihe einschlägiger Karikaturen zu zeigen, auf denen während des 19. Jahrhunderts auf britischer Seite die Angst einer napoleonischen Invasion durch den gedachten Tunnel illustriert wurde. Die endgültige Wende kam letztlich erst unter der Premierministerin Margaret Thatcher mit einer Absichtserklärung der Regierungen von Frankreich und Großbritannien im Jahre 1984. 1986 begannen die Bauarbeiten und acht Jahre später konnte der so genannte Eurotunnel mit der Durchfahrt eines ersten Frachtzuges eingeweiht werden. Das 50 km messende Tunnelsystem zwischen dem französischen Coquelles (Calais) und dem britischen Castle-Hill-Portal (Folkstone) besteht heute aus drei parallelen Tunneln: zwei im Abstand von 30 m verlaufenden eingleisigen Eisenbahntunneln mit einem dazwischen angeordneten Diensttunnel. Berkley verschwieg bei aller demonstrierten technischen Leistung aktuelle Probleme des Eurotunnels nicht, die auf britischer Seite etwa im Fehlen eines Schnellzug-Anschlusses und in schwer zu kontrollierenden Migrationsphänomenen bestehen.

Einen dezidiert kulturgeschichtlichen Ansatz wählte daraufhin Elisabeth Joris, die ihren Beitrag unter das Motto „Tunnelräume – Geschlechterräume. Die Tunnelbaustelle als lebensweltlicher Ort von Männern, Frauen und Kindern“ gestellt hatte. Ausgehend von der Biographie ausgewählter Frauen erläuterte Joris die spezifischen sozioökonomischen Verhältnisse der Mineure in den binnen kurzer Frist exponential anwachsenden Siedlungen an den Baustellen der Tunneleingänge etwa in Göschenen oder Naters Ende des 19. Jahrhunderts. Deutlich wurden dabei nicht nur das enge sozio-ethnische Bindungsgeflecht der häufig aus Italien bzw. dem Piemont zugewanderten Mineure und die zum Teil überaus beklagenswerten sanitären Verhältnisse in den mehr oder weniger provisorischen Unterkünften. Joris zeigte auch, dass sich die Frauen innerhalb dieses Milieus in durchaus unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen zu behaupten hatten und wussten.

Wiederum einem berühmten britischen Tunnelbauvorhaben war der Vortrag von Prof. David de Haan, Direktor des Ironbridge Institutes der University of Birmingham, gewidmet – nämlich dem „Thames Tunnel by Marc Isambard Brunel, the World’s first subaqueous tunnel“. Für diesen ersten Unterwassertunnel hatte der 1769 in Frankreich geborene Brunel im Jahre 1818 ein Patent erhalten. Die Motivation, einen Tunnel unterhalb der Themse zu errichten, resultierte einerseits aus dem intensiven Schiffsverkehr, der eine Überquerung erschwerte. Andererseits wurden durch den Bau von Brücken die Schiffshöhen und damit die Transportkapazitäten auf dem Fluss beschränkt. De Haan verfolgte detailliert die Bauphasen des Themsetunnels, wobei mit u. a. zwei erhaltenen Tagebüchern von Marc Brunel und seinem Sohn Isambard Kingdom Brunel wahrlich einzigartige historische Quellen zur Rekonstruktion dieses von 1825 bis 1842 durchgeführten Tunnelbauvorhabens ausgewertet werden konnten. Angesicht immer wieder auftretender Finanzierungsengpässe griff die Tunnelbaugesellschaft auch auf ungewöhnliche Werbemaßnahmen wie etwa ein Bankett in einer Tunnelröhre zurück. Welche Attraktion der Tunnel für die Londoner Bevölkerung war, zeigten nicht nur täglich 700 Besucher während der Bauphase, sondern insbesondere 50 000 Schaulustige in den ersten beiden Tagen nach der offiziellen Einweihung des Themsetunnels. 1865 für Eisenbahnzwecke ausgebaut, wurde er später eine der ersten Strecken für die Londoner Untergrundbahn (Underground).

Oskar Stalder von der SBB Betriebsführung richtete den Blick sodann auf den aktuell größten Tunnel der Welt, den er unter dem Titel „Der Seikan-Tunnel (Japan) – Bauwerk und Herausforderung“ en Detail darstellte. Dieser von 1971 bis 1988 gebaute Eisenbahntunnel verläuft unter der Tsugarustraße und verbindet die Inseln Honshū und Hokkaidō. Mit einer Gesamtlänge von 53,85 km, wovon 23,30 km unter Wasser (bis 240 m unter dem Meeresspiegel) verlaufen, verkürzt er heute die Reisezeit der Züge zwischen Tokio und Sapporo gegenüber dem Fährverkehr von 22 auf 15 Stunden. Abgerundet wurde der erste Tag schließlich durch einen Beitrag von Dipl.-Ing. Rainer Sigrist, vormals Georg Fischer AG, zur Heiligen Barbara, da diese auch als Beschützerin der Tunnelbauer gilt und noch heute innerhalb dieser Berufsgruppe ein recht lebendiger Barbarakult gepflegt wird – was beispielsweise den Besuchern des Gotthard-Basistunnels im Rahmen der Exkursion praktisch vor Augen geführt wurde. Darüber hinaus gab die neu amtierende Geschäftsführerin der Eisenbibliothek, Dr. Britta Leise M.A., einen Einblick in die jüngst renovierten Räume sowie in eine jüngst für die Allgemeinheit eröffnete Ausstellung mit bibliophilen Pretiosen der Eisenbibliothek.

Den zweiten Tag der Tagung eröffnete Prof. Dr. Walter Kaiser, RWTH Aachen, mit seinem Vortrag „Tunnelbau mit dem Computer – Die Finite Elemente-Methode in der Geotechnik“. Kaiser zeigte, dass die Finite Elemente-Methode (FEM) ihren Ausgang bei Ray W. Clough in Berkeley, USA, in den 1960er-Jahren nahm. Versuchte dieser mit seinen Studenten zunächst, mit Hilfe der Finiten Elemente näherungsweise Verschiebungen und Spannungen in großen Betonstrukturen zu berechnen, war es mit dem dort benutzten Finite Elemente-Rechenprogramm prinzipiell möglich, auch für unterirdische Beton- und Felsstrukturen Berechnungen anzustellen. Damit war der Anwendung der FEM im Tunnelbau der Weg gebahnt, und es wurden seit Anfang der 1970er-Jahre vor allem in den USA und in Großbritannien numerische Berechnungsverfahren entwickelt, wozu man auch in Deutschland insbesondere an der RWTH Aachen und an der Universität Karlsruhe Beiträge leistete. Heute ist die Entwicklung entsprechender Software soweit fortgeschritten, dass die Programme intuitive bzw. sogar suggestive Benutzungsoberflächen bieten und damit zur Problemlösung in aktuellen Tunnelbauvorhaben durchweg zum Einsatz kommen.

Dies bestätigte auch Dr.-Ing. Marc Peters, Leiter Forschung und Entwicklung der Business Unit Utility Tunnelling der Herrenknecht AG, der unter dem Motto „Maschineller Tunnelbau heute. Pushing the Limits“ eines der weltweit führenden Unternehmen zum Bau von Tunnelbohrmaschinen präsentierte. 1975 zunächst als kleines Ingenieurbüro vom heutigen Vorsitzenden des Vorstands Martin Herrenknecht gegründet, beschäftigt das Unternehmen heute annähernd 2000 Mitarbeiter bei einem Umsatz von etwa 750 Mio. € in 2007. Im Zentrum stehen die beiden traditionellen Geschäftsfelder des „Utility Tunnelling“ und des „Traffic Tunnelling“, wobei im Bereich der Nutztunnel vorrangig kleinere Tunnelbohrmaschinen zur Auffahrung von Versorgungstunneln etwa für Trink- und Abwässer oder Kabelkanäle zusammengefasst sind. Im Bereich der Verkehrstunnel sind dagegen jene Tunnelbohrmaschinen konzentriert, die heute Durchmesser von über 15 m und Maschinenlängen von knapp 500 m erreichen sowie weltweit in einem wachsenden Markt zum Einsatz kommen – so auch im Gotthard-Basistunnel.

Von der thematischen Reihenfolge nicht ganz schlüssig kam Konrad Kuoni lic. phil., Zürich, in seinem abschließenden Vortrag nochmals dezidiert auf die Geschichte und den „Bau des Gotthard-Eisenbahntunnels“ zurück. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen standen dabei weniger die technischen Aspekte als vielmehr die sozioökonomischen Verhältnisse dieses Tunnelbauprojekts. Nach heftigen Auseinandersetzungen zwischen Gotthard-Befürwortern und Verfechtern der Lukmanier- und Splügenvariante wurde demnach 1863 von den Ingenieuren Wetli und Koller erstmals die Idee eines Tunnels unter dem Gotthard präsentiert. Als auch Alfred Escher, Präsident der zürcherischen Nordostbahn, die Linienführung über den Gotthard befürwortete, war die Entscheidung gefallen. Am 7. August 1863 gründeten zunächst 15 Kantone die große Gotthardvereinigung. Escher, reicher Bankier und Regierungspräsident des Kantons Zürich, wurde Präsident und damit zum umtriebigen Vertreter der Gotthardidee. Am 6. Dezember 1871 übernahm er das Präsidium der neu gegründeten Gotthardbahngesellschaft.

Für den eigentlichen Bau des Tunnels trafen nach einer unglaublich kurzen Eingabefrist von sechs Wochen sieben Offerten ein. Den Zuschlag erhielt die Genfer Firma Entreprise du Grand Tunnel du Gothard von Louis Favre, der sich dabei gegen die französische Società Italiana di Lavori Pubblici unter der Leitung von Severino Grattoni durchsetzte. Grattoni hatte nicht nur den Mont Cenis-Tunnel erfolgreich aufgefahren, sondern auch am Gotthard die Geologie geprüft und Probebohrungen vorgenommen. Favre hingegen hatte bisher keinen Tunnel gebaut, der länger als 1000 m war; er unterbot den Mitkonkurrenten, akzeptierte die ruinösen Vertragsbedingungen und hinterlegte eine Kaution von 8 Mio. Franken. Schließlich versprach er bei persönlicher Haftung eine Bauzeit von acht Jahren, was angesichts der unbekannten Geologie und der kurzen Bauzeit ein überaus riskantes Unterfangen war. Durch diesen bis auf das Äußerste strapazierten betriebswirtschaftlichen Rahmen sah Kuoni die überaus problematischen Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Mineure des Gotthard-Eisenbahntunnels bedingt, die sich durch ein überdurchschnittliches Mortalitätsrisiko (199 Unfalltote insgesamt) sowie durch eine hohe Streikbereitschaft auszeichneten.

Dr. Hans-Ueli Schiedt, Leiter der Abteilung Forschung von ViaStoria, Zentrum für Verkehrsgeschichte der Universität Bern, übernahm die Formulierung des für die Schaffhausener Tagungen obligatorischen Schlusskommentars, wobei er über die Implikationen aus den einzelnen Vorträgen hinaus insbesondere den Tunnel als sozio-technisches, ökonomisches und symbolhaftes Gebilde paraphrasierte. Letztlich sei die Chance zur Realisierung großer Tunnelbauprojekte in verkehrspolitische Gesamtstrategien eingebunden, wie überhaupt der verkehrsgeschichtliche Ansatz bei der historischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Tunnel etwas stärker zu berücksichtigen sei.

Den Abschluss der anregenden, gut organisierten und von der Georg Fischer AG generös ausgestatteten Tagung – was heutzutage bei weitem keine Selbstverständlichkeit mehr darstellt – bildete die eingangs erwähnte Exkursion zum Gotthard-Basistunnel, anlässlich derer die Exkursionsteilnehmer überaus fachkundig von Peter Zbinden, dem langjährigen Central Executive Officer (CEO) der AlpTransit Gotthard AG, betreut wurden. Moderner Tunnelbau konnte dabei als beeindruckendes Erlebnis erfahren werden, das sich bei aller Spezifik eine natürliche Nähe zum Bergbau hat. Nicht umsonst wird das Deutsche Bergbau-Museum Bochum deshalb im Jahr 2008 eine Sonderausstellung über den Bau der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) zeigen.

Mit Abbildungen ist dieser Text erschienen in: DER ANSCHNITT 59, 2007, H. 6, S. 236-240.