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Bautechnikgeschichte zw. Geschichte der Technikwissenschaften, Technikgeschichte und Baugeschichte

Andreas Kahlow

Worum geht es bei der »Bautechnikgeschichte«, die als ein an sich altes Fachgebiet an zwei Hochschulen (in Cottbus und in Potsdam) erst vor kurzem installiert worden ist? Auffällig ist, daß aus dem Fachgebiet der Ingenieure der Anstoß kam, sich verstärkt der eigenen Geschichte zuzuwenden, um mit dem so geschaffenen Lehrgebiet auch ein Forum zu begründen, das die Identifikationsprobleme dieser Ingenieurwissenschaft lösen hilft. Daß diese existieren, ist wohl nicht zu leugnen, und Bauingenieure wie Stefan Polònyi werden nicht müde, auf die Diskrepanzen hinzuweisen, die sich z. B. zwischen Ingenieur-Kreativität und technischen Normen ergeben.

Während Normung, Verrechtlichung, Regelung im Bereich des Ingenieurwesens unermüdlich erweitert werden, entgleiten andere Lebensbereiche einer Kontrolle immer mehr. Das Funktionieren von Teilsystemen, nicht das Funktionieren des Ganzen wird zunehmend das Maß der Dinge. Das Prinzip »Verantwortung« besitzt immer weniger operationale Qualitäten. Fragen nach Zusammenhängen und Sinnfragen werden aber nicht nur durch »Nicht-Fachleute« formuliert, die sich in Bürgerbewegungen und politischen Gruppierungen artikulieren, sondern auch zunehmend durch Vertreter der technischen oder wissenschaftlichen Fächer gestellt, die den Verlust an Übersicht über früher zusammenhängende Gebiete und vielleicht auch die Grenzen dieses »Perfektionismus« empfinden.

Der Vergleich mit der Sinnkrise am Ende des vorigen Jahrhunderts sei erlaubt, als ebenfalls Selbstverständnisprobleme in den Wissenschaften - und ganz besonders in den neuen technischen Wissenschaften - zu einem Aufschwung der Wissenschafts- und Technikgeschichte geführt hatten. Gleichwohl ist die Gesamtsituation in der Hochschullandschaft für eine Stärkung der Wissenschafts- oder Technikgeschichte heute außerordentlich ungünstig. Im Zuge von Kürzungen und Abbau werden die Bedürfnisse, die hier angedeutet wurden, nur in Ausnahmefällen bedient, und die wenigen Möglichkeiten, die sich hier boten, ergaben sich vorzugsweise aus der Situation des Umbaus der ostdeutschen Hochschulen. Um so deutlicher müssen die inhaltlichen Fragen formuliert werden, die sich aus der Sinnkrise technischer Fachgebiete ergeben.

Für den Bauingenieur ist der natürliche Partner der Architekt. Vielleicht macht dies die Krise der Entwicklung besonders sinnfällig. Der Baumeister, der noch beide Professionen vereint, ist vor mehr als hundert Jahren als Typus verloren gegangen; mit Eisen und Stahl ist im 19. Jahrhundert die Mechanik als wissenschaftliche Grundlage in das Bauwesen eingezogen, mit dem Stahlbeton um die Jahrhundertwende die Verwissenschaftlichung der Baunormung erfolgt, die später dem DIN-Kodex eingefügt wurde. Dies zog eine Spezialisierung nach sich, die inzwischen an ihre Grenzen gekommen ist.

Dem Bauwerk ist oft genug das Auseinanderfallen beider Professionen anzusehen: Spiegeln beispielsweise durchlaufende horizontale und vertikale Bänder auf der Außenfläche ein Tragverhalten vor, das in der realen Tragstruktur gar nicht vorhanden ist? Ebenso erfolgt nicht selten die Separierung von »historischen Werten«. Die Erhaltung der Fassade und die Umnutzung durch Totalsanierung von innen ist ein Beispiel dafür. Der Verwertungsaspekt steht im Vordergrund - die Ganzheit des Gebäudes aber wird zerstört.

Bei der Bautechnik- oder Konstruktionsgeschichte handelt es sich um ein neues Gebiet, wenn es um die erwähnten Neugründungen an Bauingenieurfachbereichen geht, um ein altes jedoch, wenn es um die Sache geht. Die Traditionen kommen aus der Geschichte der Mechanik, aber auch aus Kunstgeschichte und Bauforschung. Heutige Themen betreffen nicht nur das für den Ingenieur so wichtige »Orientierungswissen«, sondern durchaus auch praktische Themen der Bauerhaltung und Denkmalpflege.

Aus den Erfahrungen dreier Tagungen und den Diskussionen der Arbeitskreises »Bautechnikgeschichte« in Berlin soll die Diskussion begonnen werden über das, was man als »Kernthemen« dieses Faches im Verhältnis zur Geschichte der Technikwissenschaften, zur Technikgeschichte und zur Baugeschichte herausfiltern könnte. Ob dazu die Entwicklung des Spannungsbegriffs und des Schnittprinzips aus der Physiologie (z. B. bei Leonardo da Vinci) oder die Relation zwischen Berechnung und Gestaltung in der Geschichte der Konstruktion gehören oder nicht, ist nicht nur für die Lehrenden auf diesem Gebiet interessant. Vom Arbeitskreis ist eine größere Diskussionsrunde hierzu angedacht. Dieser Vortrag auf der Jahrestagung der GTG soll gewissermaßen den Auftakt dazu bilden.