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Technik und Körper: Kritische Überlegungen zum "linguistic turn" in der Geschichtswissenschaft

Maria Osietzki

Am Beispiel der ab den 1880er Jahren geführten Debatte über die Sicherheiten/Gefahren der Elektrotechnik soll in einem ersten Schritt dargestellt werden, wie die Bedrohung einer neuen Technik für Leib und Leben in den elektrotechnischen Publikationen kulturell verarbeitet wurde. Die Strategien einer solchen Verarbeitung beinhalteten die sprachliche Verharmlosung von Gefahren, die Projektion von Risiken auf die Gastechnik, die Betonung, die Elektrotechnik sei besonders sicher, die Schuldzuweisung an unsachgemäße Installationen bei Unfällen und die damit verbundene Betonung der Wichtigkeit elektrotechnischer Kompetenz sowie die Verhaltensnormierung, um einen »gefahrlosen« Umgang mit elektrotechnischen Leitungen und Geräten zu erwirken. Die Analyse dieser »Sprachregelungen« wird sich auf neuere kulturhistorische und diskursanalytische Ansätze der Geschichtswissenschaft stützen.

In einem zweiten Schritt soll herausgearbeitet werden, daß sich zwar die Gefahren der Elektrotechnik für Leib und Leben sprachlich durch die Propagierung eines Sicherheitsdiskurses oder durch die Einübung gewisser körperlicher Habitualisierungen im Umgang mit der Elektrotechnik aus dem Bewußtsein verdrängen ließen; dennoch blieben diese Gefahren »real« präsent. Zu fragen wäre mithin, welche methodischen Instrumentarien im Rahmen des »linguistic turn« bereitstehen, um den Umgang mit Gefahren nicht auf eine sprachliche, kulturrelativistische Bedeutungskonstruktion zu reduzieren. Schließlich wurde über elektrische Entladungen nicht nur sprachlich verhandelt; sie wurden körperlich erlitten und führten neben allen Sprachregelungen darüber zu Entwicklungen in Form konkreter Sicherheitstechniken.

Die ohnehin angreifbare Ignoranz gegenüber der Technik in der allgemeinen Geschichtswissenschaft erreicht - so die hier vertretene These - durch den Einfluß des »linguistic turn« einen Höhepunkt. Die Technikhistoriographie wird hierdurch zu einer methodisch fundierten Korrektur herausfordert: Die Technik schafft Faktizitäten, die materielle Konsequenzen haben und die jenseits aller kulturellen Deutungsprozesse existent sind. Eine vor dem Hintergrund der jüngsten methodischen Reflexionen nicht mehr positivistisch anzugehende Thematisierung von Technik und Körper wirft allerdings gravierende methodische Probleme auf, die in der Frage münden, wie Technik und Körper nicht nur sprachlich vermittelt sind, sondern sich als Akteure im Diskurs zur Geltung bringen.