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Großforschung: Teilchenbeschleuniger - nur groß und der Erkenntnis dienend?

Siegfried Buchhaupt

Teilchenbeschleuniger wurden ab den 1920er Jahren als Hilfsmittel zur Erforschung der Bestandteile des Atoms entwickelt. Damit wollten Naturwissenschaftler ihre Experimentierbedingungen verbessern (Problem der Reproduzierbarkeit von beobachteten Ereignissen) und ihrer Forschung neue Phänomenbereiche erschließen.Inzwischen haben Teilchenbeschleuniger ein weites Anwendungsfeld, auch in Technik und Medizin, gefunden. Riesige Anlagen zur Erforschung der Struktur der Materie - wie bei DESY in Hamburg oder CERN in Genf - dienen der Grundlagenforschung.

Teilchenbeschleuniger zeigen die wachsende Abhängigkeit naturwissenschaftlicher Forschung von aufwendiger Technik und entsprechender finanzieller Förderung. Die Bereitschaft der Industriestaaten zur Finanzierung teurer Forschungsgeräte, deren praktischer Nutzen zunächst mehr als zweifelhaft erschien, änderte sich mit dem 2. Weltkrieg: Die Bedeutung der Physik für die Entwicklung von Waffen mit vorher unbekannter Destruktivkraft wurde offensichtlich. Mit dem »Manhattan Projekt«, wofür auch Teilchenbeschleuniger verwendet wurden, erfolgte die »Mobilisierung der Wissenschaft für den Krieg« im großen Maßstab.

Der Krieg veränderte die gesellschaftliche Stellung der Physik - sie wurde zum Instrument der Sicherung und Entfaltung staatlicher Macht.

Im Zeichen des »Kalten Krieges« und atomaren Wettrüstens blieben Teilchenbeschleuniger auch in der Nachkriegszeit militärisch relevant. Im zivilen Sektor wurde/wird der Bau von Teilchenbeschleunigern u.a. damit begründet, daß sie Spitzentechnologien fördern, daß sie der Ausbildung hochqualifizierter Naturwissenschaftler und Ingenieure dienen und daß mit ihnen gewonnene Erkenntnisse möglicherweise zu wichtigen Anwendungen führen. Es entstanden große staatlich finanzierte Forschungszentren, wodurch die Beschleunigerentwicklung eine starke Dynamik erfuhr: Jede Beschleunigergeneration wird innerhalb weniger Jahre durch eine größere (leistungsfähigere) ersetzt oder ergänzt. Größe wurde schnell durch Größeres relativiert. Dazu trug auch bei, daß Teilchenbeschleuniger in der Nachkriegszeit zu einem bevorzugten Mittel nationaler Profilierung ("Beschleuniger-Wettrennen") wurden.

Da die größten Maschinen für Grundlagenforschung eingesetzt werden, könnte der Eindruck entstehen, daß Teilchenbeschleuniger nur dem Fortschritt der Erkenntnis dienen. Die Rolle des Staates wäre hierbei einem Mäzen vergleichbar, der ein sehr teures Kulturgut fördert. Bei Berücksichtigung des mit dem Krieg veränderten politischen Kontextes der Physik bietet sich jedoch eine andere Interpretation an: Die staatlichen Aufwendungen für Grundlagenforschung fungieren als eine "»ompensation« für die Bereitschaft der wissenschaftlichen Community an militärischen und industriellen Zielsetzungen mitzuwirken, die sich mit dem traditionellen Anspruch einer zweckfreien und autonomen Wissenschaft nicht vereinbaren läßt.

In den letzten Jahren werden Pläne für neue Großgeräte mit zunehmender Zurückhaltung aufgenommen. Dieses hängt kaum mit fehlenden Ideen der Wissenschaftler für die Nutzung der Forschungsgeräte zusammen, sondern kündigt vermutlich einen tiefgreifenden Wandel der Forschungspolitik und ihrer Prioritäten an.