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Klein oder groß? Das Problem einer "Idealgröße" für Textilunternehmen

Stefan Lindner

Kenneth Galbraith schrieb 1967 in "The New Industrial State" über die Notwendigkeit in der Industrie, Großunternehmen zu bilden, die allein in der Lage seien, den Ansprüchen der neuen Technik, den damit verbundenen Kapital- und Planungsbedürfnissen Rechnung zu tragen: "By all but the pathologically romantic, it is now recognized that this is not the age of the small man."

Auch in der Textilindustrie wurde dies zum Paradigma. So referierte im Januar 1973 Hendrik van Delden, ein führender westdeutscher Textilunternehmer, über den Konzentrationsprozeß in der Textilindustrie. Der, so seine These, entwickle sich "automatisch" und setze sich "zwangsläufig" fort. Zum einen liege dies an der Entwicklung der Personalkosten, die durch ihre starke Steigerung eine Rationalisierung erzwängen, zum anderen an den technischen Entwicklungen. Kleine und mittlere Betriebe verfügten meist weder über die erfahrenen Fachleute noch über das Kapital für die damit notwendigen Investitionen. Zudem steige mit der Rationalisierung die Produktion enorm an. Es müsse nicht nur mehr Geld investiert, es müsse auch mehr verkauft werden. Dies führe dazu, daß sich die Betriebseinheiten vergrößern und die Zahl der Betriebe und Unternehmen verringerten. Leider erkenne aber ein großer Teil der Textilindustriellen nicht die Zwangsläufigkeit dieser Entwicklung oder wolle sie nicht sehen-dies könne "nur zum Niedergang führen".

Van Delden war mit seinen Überzeugungen durchaus nicht allein. Die Bildung großer Wirtschaftsräume wie der EWG, die zunehmende Internationalisierung von Produktion und Handel hatten die Überzeugung, nur Großunternehmen könnten in Zukunft bestehen, in den Wirtschaftswissenschaften, bei zahlreichen führenden Politikern und Unternehmern zu einer "herrschenden Meinung" werden lassen. Aber viele mußten erkennen, wie ein Ökonom 1981 schrieb, daß sich diese Vision "im Nachhinein als falsch erwiesen" habe.

Van Delden mußte bereits 1978 mit staatlichen Mitteln gerettet werden, 1980 brach das Unternehmen zusammen. Großunternehmen wie Van Delden kamen im Lauf der 1970er vorwiegend in Schwierigkeiten, wenn ihre Flexibilität zu sehr eingeschränkt worden war. Mittlere und kleinere Unternehmen erwiesen sich als flexibler, setzten auf Qualität und Ideenreichtum und verdienten damit gutes Geld.

Kleine und mittlere Unternehmen sollten aber nun nicht in gleicher Weise verklärt werden wie vorher die Großunternehmen. So priesen die prominentesten Kritiker des fordistischen Modells, Michael Piore und Charles Sabel, die quasiartisanale "flexible Spezialisierung" der kleinen Textilbetriebe im Raum Prato. Ihre Beschreibung der dortigen Zustände wurde aber von Bennett Harrison herausgefordert, der die starke Abhängigkeit der Textilbetriebe von wenigen großen Abnehmern deutlich machte, Großunternehmen, die er als "lean and mean" bezeichnete.

Im Paper sollen die Diskussion der sechziger bis achtziger Jahre über eine "Idealgröße" in der Textilindustrie und die entsprechende Realisierung und die Folgen beschrieben und analysiert werden.