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Thomas Wieland
Landsorten, Hochzuchten und Saatgut. Getreide als Gegenstand von Technisierung und Ökonomisierung im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert

Trotz eines weiträumigen und nicht selten regen Getreidehandels blieben Getreidesorten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein eng mit ihrer jeweiligen Anbauregion verknüpft. Getreidesorten waren Landsorten, die an die Anbaubedingungen einer geographisch mehr oder weniger fest umrissenen Region angepasst waren und – wie Fichtelgebirgshafer oder Probsteier Roggen – deren Namen trugen. Ursache hierfür war, dass Bauern und Landwirte ihr Saatgut traditionell der eignen Getreideernte entnahmen. Zwischen Getreide für den Handel und Getreide für die Aussaat wurde nicht unterschieden. Mit der Herausbildung einer Saatzuchtindustrie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der ehemals preußischen Provinz Sachsen und den angrenzenden Regionen änderte sich dies jedoch. Denn mit Hilfe neuartiger Züchtungstechniken schufen nun kommerzielle Pflanzenzüchter Getreidesorten, die als Universalsorten unter den Anbaubedingungen intensiv bewirtschafteter Landwirtschaftsbetriebe hohe Erträge versprachen und deren Saatgut auf einem schnell expandierenden Markt vertrieben wurde. An die Stelle traditioneller Landsorten aus dem Eigenanbau traten damit die Hochzuchten der kommerziellen Pflanzenzüchter, die über den Handel bezogen werden mussten.

Der Vortrag beleuchtet zum einen den Prozess der fortschreitenden Technisierung und Ökonomisierung von Getreidesorten, der zur Unterscheidung von Getreide als Handels- bzw. Saatware geführt hat. Zum andern werden die Konfliktlinien aufgezeigt, die diesen Prozess begleitet haben und in der zeitgenössischen Diskussion um die Verwendung von Landsorten bzw. Hochzuchten deutlich werden.