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Diagrammatische Maschinenbilder des 15. Jahrhunderts. Bemerkungen aus kunsthistorischer Sicht

Steffen Bogen

Samuel Y. Edgerton, Jr. hat im Anschluß an Erwin Panofsky die Ausarbeitung einer geometrisch konstruierten Zentralperspektive als Wegbereiter der wissenschaftlichen Revolution gedeutet. Er hat diese These vor allem anhand von Maschinenzeichnungen zu belegen versucht: Erst die perspektivischen Regeln hätten eine exakte Darstellung von technischen Zusammenhängen erlaubt, die eine Konstruktion nach dem Bild möglich erscheinen ließ. Taccola, Francesco di Giorgio Martini, Leonardo da Vinci u.a. sieht er so als Wegbereiter der klassischen Mechanik.

Diese These kann inzwischen als widerlegt gelten. Dennoch behält sie einen heuristischen Wert: Die Zentralperspektive ist ein paradigmatisches Verfahren, Bilder mit Hilfe von Diagrammen zu konstruieren. Ein Diagramm muß von der Konstruktion in der Fläche her verstanden werden. Dabei können auch Relationen entdeckt werden, an die im Moment der Einschreibung niemand gedacht hat. Genau diese Qualität macht Diagramme zu wichtigen Werkzeugen eines sich selbst kontrollierenden Denkens (Charles S. Peirce). Die Wahrnehmung der Einschreibung als potentiell plastisches Bild setzt sich dagegen über den Vorgang der Konstruktion hinweg: Die Gemachtheit der Formen wird bis zu einem gewissen Grad übersehen und imaginär der Dynamik der dargestellten Körper selbst zugeschrieben. Die visuelle Kultur der Neuzeit beruht auf der Entdeckung, diese beiden Modi der Repräsentation geschmeidig ineinander überführen zu können: Das Diagramm erzeugt das Bild, das Bild füllt die diagrammatische Konstruktion.

In diesem Kontext sind die repräsentativen Maschinenzeichnungen der Neuzeit neu zu reflektieren. Ältere Figuren in technischen Lehrschriften und Maschinenbüchern sind im Vergleich mit den graphischen Neuerungen des 15. Jahrhundert keineswegs als defizitär anzusehen. Bis zu einem gewissen Grad erheben sie nämlich gar nicht den Anspruch, eine bildhafte Ansicht der Maschine zu geben, sondern konzentrieren sich darauf, technische Relationen diagrammatisch zu veranschaulichen. Die zeichnenden Ingenieure des 15. Jahrhunderts sind dann nicht nur in optischer Hinsicht darauf bedacht, technische Diagramme in Maschinenbilder zu überführen. Ihre Zeichnungen bieten auch mit Blick auf technische Prinzipien die Möglichkeit, zwischen zwei Wahrnehmungsweisen hin und her zu wechseln: zwischen dem Diagramm funktionaler Wirkketten und dem Bild gebauter Maschinen. Dieses Wechselspiel der Rezeption wird zur Keimzelle für eine Vielzahl von gesellschaftlichen Rollenentwürfen. Dabei vermitteln die Bilder nicht zuletzt zwischen ausdifferenzierten Subkulturen des Wissens: grob gesagt zwischen einer Kultur der Handwerker, die über ein praxisbezogenes Know-how verfügt, einer Kultur der Gelehrten, die Wissen schriftlich reproduzierbar macht, und einer Kultur der Mächtigen, die auf die Entwicklung von Herrschaftspraktiken abzielt. In der Vermittlung dieser Kulturen gewinnen die Bilder einen Eigenwert, der weder in einer tatsächlich gebauten Maschine noch in einem abstrakten technischen Wissen aufgehen kann. Damit öffnen sich gerade repräsentativ ausgearbeitete Maschinenzeichnungen für dezidiert kunsthistorische Analysen, die die Funktionen und Formen der graphischen Medien betreffen.