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Strom-Verletzungen darstellen. Bilder und die "neue Wissenschaft" der Elektropathologie

Hans-Georg Hofer

Dieser Vortrag steht im Zusammenhang mit einem kürzlich begonnenen Forschungsprojekt zur Geschichte elektrischer Unfälle, 1900-1950. In diesem Projekt richtet sich mein Interesse vor allem auf jene Wissenschaft, die sich die Erforschung der Auswirkungen des Stroms auf den menschlichen Körper zur Aufgabe gemacht hatte, die Elektropathologie. Der wichtigste Vertreter dieser Wissenschaft, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts als eine bedeutende industrie- und sozialmedizinische Innovation angesehen wurde, war der Wiener Mediziner Stefan S. Jellinek (1871-1968). 1929 erhielt Jellinek eine Lehrkanzel für Elektropathologie an der Universität Wien und an der dortigen Technischen Hochschule. Darüber hinaus gelang Jellinek der Aufbau einer Sammlung, welche die Gefahren des Stroms veranschaulichte. Das Elektropathologische Museum, ein Kabinett elektrischer Kuriositäten, Geheimtipp von Museumstouristen und Archiv einer weitgehend vergessenen Wissenschaftsdisziplin, besteht in Wien (im 16. Bezirk) bis heute. In meinem Vortrag möchte ich nach der Bedeutung von Bildern als Legitimations- und Veranschaulichungsmedium fragen und dies am Beispiel der "neuen Wissenschaft" der Elektropathologie untersuchen. Wissenschaftliche Glaubwürdigkeit erlangte Jellinek vor allem durch den Einsatz von Visualisierungstechniken, welche die Zerstörungsgewalt des Stroms am menschlichen Körper und an Objekten dokumentierten. Eine Vielzahl von Fotografien, aber auch Zeichnungen, Aquarellen, Moulagen, Geräten und Präparaten, die er in seinem Atlas der Elektropathologie (1909) abgebildet hatte, bildeten einen Fundus zur Erzeugung von Wissensbeständen, der immer wieder neu konstituiert, assoziiert und legitimiert werden konnte. Jellineks Intention war es, "lebenswahre Bilder" zu schaffen, die ihren Bedeutungsgehalt gewissermaßen selbst vermittelten und dem Betrachter die Aufgaben und Ziele elektropathologischer Forschung vor Augen führen sollten. Auch in der Therapie elektrischer Verletzungen spielten Bilder (Fotografien) eine bedeutende Rolle, da Jellinek mit diesen seine These von der "Selbstheilung" von Stromverletzungen stützen konnte. Damit ist das übergeordnete Interesse der Fallstudie benannt; nämlich einerseits das Verhältnis von Visualisierung und wissenschaftlicher Objektivität zu befragen, und andererseits die Relevanz von Bildern für die Popularisierung medizinisch-technischer Wissensbestände zu beleuchten.