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Fernando Esposito

Don Quichotte der Lüfte: Heldenbilder und moderne Technik in populären Darstellungen deutscher Flieger des Ersten Weltkrieges

Ein Pferd steht starr auf sandigem Grunde. Auf ihm sitzend eine mit einem schweren Umhang umhüllte Reitergestalt, die eine Pickelhaube trägt. Sie blickt in den Himmel, aus dem sich - so die Bildlegende - Luftkapitän Engelhard dem Flugplatz Johannisthal nähert. Man sieht das Antlitz des Reiters nicht. Auch den Piloten erkennt man nur schemenhaft zwischen den Drähten und Streben seines seltsamen Fluggefährts. Es ist der 8. Dezember 1910 und das Bild, in dem sich zwei Welten begegnen, trägt den Titel Alte und Neue Zeit. Diese Begegnung zweier Welten wurde zu einem der Konflikte, die im Weltkrieg ausgetragen wurden: Nicht nur zwischen den Nationen, sondern vor allem innerhalb regierte der Streit von Alt und Neu und schwelte noch lange nach dem Kriege weiter. Er vereinigte sich jedoch zuweilen auch innerhalb ein und desselben Phänomens. An den zahlreichen Schilderungen der kriegerischen Fliegerei lassen sich die mentalen Übergänge von der alten zur neuen Zeit ablesen, als deren Katalysator der "Große Krieg" auftrat.

Als im August 1914 die Soldaten in den Krieg zogen, umgab "die Technik" noch die Aura des Fortschritts. Unter den Hieben des maschinisierten Krieges wich die Fortschrittsgläubigkeit des fin de siècle jedoch einer dumpfen Angst vor der Übermacht eines der menschlichen Kontrolle entglittenen automaton. Auch diese beiden Pole bündeln sich in den die Aviatik betreffenden Vorstellungswelten. Während die Troglodyten einen im Stillstand verharrenden Krieg zu führen verdammt waren, in dem sowohl die Natur als auch die Technik zu Feinden des Menschen wurden, wuchs am Himmel über ihnen ein mechanisch-organischer Hermaphrodit heran, der Mobilität, Überwindung von Grenzen, Raum und Natur sowie Technik als Mittel zur Macht personifizierte. In den populären Kriegsdarstellungen dieser Avantgardisten des modernen Krieges - seien es originäre Tagebücher, veröffentlichte Kriegserlebnisse, oder aber auch Berichte der Publizistik, welche die zentralen Quellen vorliegender Untersuchung darstellen - trifft man jedoch auf eine Geisteshaltung, die man mit Jeffrey Herfs "reaktionärem Modernismus" umschreiben kann (Herf, Reactionary Modernism. Cambridge 1984.). Die Repräsentationen des Krieges sind archaisierend, romantisierend und ahistorischen Charakters. Nicht die, diesem Kriege wesentliche, moderne Technik steht im Mittelpunkt der Schilderungen, sondern der mythische, häufig auch mittelalterlich verklärte Ritter und Held. Jener vertraute doch mittlerweile obsolet gewordene Kriegertypus, dessen Untergang sich auf der Photographie ankündigte, wurde herangezogen, um das unbehaglich Neue und Andere dieses Krieges verständlich zu machen.

Mit weitreichenden Folgen wurde ein sich der Sinnstiftung widersetzender Maschinenkrieg als leidfreier Wettkampf und elitäres Duell dargestellt, der einen Raum zu männlich-heldischer Bewährung bot. Dabei wurden die vom Kriege zusätzlich beschleunigten Transformationen vielfach übergangen: die Umgestaltung des semantischen und symbolischen Apparates - und somit der Erfahrungen und Mentalitäten - verlief nicht im gleichen Tempo wie die Veränderung der zur Sprache drängenden Welt. Die althergebrachten Deutungsmuster waren der Integration des Neuen zwar dienlich, mussten aber, aus der Rückschau betrachtet, zu einer Verkennung des stattgefundenen Wandels führen. Zugleich ergab sich eine Umstrukturierung der verwendeten Deutungsmuster: Die ihnen zugrunde liegende Sprache verwies nun auf ein anderes in der Welt: ritterlich war nunmehr der Flieger und der Luftkampf, und die Bewaffnung der "Fliegenden Schwerter" war das Maschinengewehr.

Es gilt in dem Beitrag, diesen semiotischen Prozess zu betrachten. Die Technisierung des "Kriegers" und das propagierte Bild einer romantisch verklärten technischen Moderne bestimmen dessen Fragehorizont. Ziel ist es, diesem "Paradoxon" in den Kriegserfahrungen ausgewählter "Fliegerhelden" nachzugehen und die Bedeutung des Topos des ritterlichen Fliegerasses zu kontextualisieren. Zudem soll der Frage nachgegangen werden, welche gesellschaftlichen und mentalen Dispositionen die Beharrlichkeit tradierter Deutungsmuster begünstigten, und welche Wirkung dies - auch bezüglich der Wahrnehmung von Technik - zeitigen sollte.

Mit Hilfe des wissenssoziologisch informierten Erfahrungsbegriffs (Berger/Luckmann) des Tübinger SFBs Kriegserfahrungen wird dem sprachlichen Prozess der Erfahrungskonstruktion und -kommunikation nachgegangen. Durch die Analyse diverser Medialisierungen des Luftkrieges und seiner Akteure wird versucht, dem, in den Umschichtungen des semantischen und symbolischen Apparats Niederschlag findenden und sich äußernden Wandel der Wahrnehmung kriegerischer Technik und technischer Krieger aufzuweisen. Dabei erweist sich die Verklärung "Fliegerhelden" nicht nur als Donquichotterie. Der mediale Kampf gegen die Windmühlen der Zukunft verweist auf die geistigen Wehen, welche die Geburt der Moderne begleiteten. Das Sinnvakuum, welches das rationalisierte Schlachten an der Front herstellte, musste gefüllt werden - und sei es auch mit Bildern obsolet gewordener Ritter, die den faktischen Realitäten des Krieges nicht mehr entsprachen.