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Carsten Hennig

Massenmedien als Techniken struktureller Aneignung: Anmerkungen zur Geschichte des strategischen Kriegsdiskurses

Bereits kurz nach ihrer Entwicklung wurde der Einsatz von Kamera und Film verbunden mit den Abläufen des Krieges. Neben dem offensichtlichen Nutzen des "Kameraauges" für die militärische Aufklärung spielten die Bildmedien, zunächst in der Form des Kinos, die zentrale technische Rolle bei der Vermittlung von Krieg als ein die gesamte Gesellschaft betreffendes Ereignis. Das weite Spektrum der Mittlerrolle beinhaltet Propagandafilme und Nachrichten in Form der Wochenschau, das Re-Education Filmprogramm der Nachkriegszeit und das Angebot des amerikanischen Science-Fiction Kinos des "Atomic-Age" zur Verarbeitung der Bedrohung durch den Kalten Krieg, bis zur gesellschaftlichen Bearbeitung von Kriegstraumata durch den späten Vietnam-Film und die massenmedialen Experimente Steven Spielbergs zur kollektiven Erinnerungskultur.

Mit dem Aufkommen des Fernsehens hat sich die mediale Vermittlung von Kriegsdiskursen weiter differenziert. Während die "langsamere Schwingung" des Kinos eine nur zeitverzögerte Verarbeitung von geschichtlichen Ereignissen und gesellschaftlichen Vorgängen gestattet, beinhaltet es gleichzeitig eine hohe Verdichtungsleistung. Das Fernsehen hat vor allem die Rollen von Nachrichten und aktueller Berichterstattung vom Kino übernommen und, mit Hilfe der Digitalisierung, konsequent zur potentiell weltweiten "Dauer-Live-Coverage" von Kriegsereignissen ausgebaut. Weil sich schon während des Vietnam-Kriegs die Zweischneidigkeit grenzenloser Berichterstattung zeigte, haben sich auch die Zensurpraktiken im Rahmen des medial vermittelten Kriegsdiskurses kontinuierlich weiterentwickelt. Die Unmöglichkeit, das Mediennetzwerk zu kontrollieren, zeigten sich erneut im Rückschlag des Einsatzes in Somalia und in der Instrumentalisierung der Dynamik von Fernsehberichterstattung am 11. September 2001. Letztere hat besonders deutlich gemacht, wie sehr die Kommunikationsmedien einer modernen Gesellschaft strategisch instrumentalisierte Strukturen darstellen.

Kino und Fernsehen unterstützen Prozesse kollektiver Konsensbildung durch die Konstruktion konformer Erinnerungsbilder. Zunächst ist diese Art "ideologischer Aneignung" ein notwendiger Teil gesellschaftlicher Identitätsstiftung, in deren Rahmen die Qualitäten moderner Bildmedien, beispielweise von Spielberg mit seinen aufwändigen Produktionen, dem Kinofilm Saving Private Ryan und der TV-Mini-Serie Band of Brothers, zur Produktion kollektiver Erinnerung benutzt werden können.

Im Kontext einer dominanten Medienindustrie allerdings wirken Projektionen kultureller Identifikationsmechanismen über die Grenzen der eigenen Gesellschaft hinaus auf "das Andere" durchaus provokativ, solange sie Assoziationen von Ausschluß und Überhöhung wecken, und sind damit als kulturimperialistisch deutbar. So benutzte z.B. US-Präsident George W. Bush die Landung mit einem Kampfflugzeug auf einem Flugzeugträger, um sich visuell in die Tradition des heroischen Militärimages der "Aviation-Filme" (vergl. z.B. Tom Cruise in Top Gun) zu stellen, und sich als vom Himmel kommender Feldherr und Führer seiner Nation zu inszenieren, der für den Triumph des kriegerischen Willens wirbt.

Im "Post-9/11"-Hollywoodkino haben sich die Grundlagen der Kriegsdarstellung ebenfalls verschoben. Die Auffassungen der Weltkriege, vom "War to end all Wars" und von "The only Good War", haben sich verflüchtigt. Aktuelle Filme wie The Last Samurai und Master and Commander verknüpfen vielmehr Darstellungen des Krieges mit Prozessen von Modernisierung und Evolution, in denen technologische Überlegenheit mit zivilisatorischem Fortschritt gleichgesetzt wird, und kriegerische Auseinandersetzung als Teil natürlicher Kreisläufe konnotiert ist.

In der zeitgenössischen Ideologieproduktion amerikanischer Massenmedien spiegelt sich ein grundlegender Einstellungswandel, der, ob bloßes Angebot zur kollektiven Bewältigung eines nationalen Traumas oder direkte Kriegspropaganda, den Krieg in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Entwicklung stellt, und so die Möglichkeit der Überwindung von Kriegen aus dem Kriegsdiskurs ausklammert.