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Rainer Karlsch

Nukleare Hohlladungen? Ein verschwiegenes Kapitel aus der Physikgeschichte 1943-45

Die Entwicklung der "Panzerfaust" war eines der wichtigsten Ergebnisse der Hohlladungsforschung und gehörte zu den herausragenden waffentechnischen Entwicklungen des Zweiten Weltkrieges. Führend daran beteiligt waren Wissenschaftler der Technischen Akademie der Luftwaffe in Berlin-Gatow (Schardin), der Deutschen Forschungsanstalt für Luftfahrt in Völkenrode (Dirksen) und des Heereswaffenamtes (Trinks). Bis Kriegsende erarbeitete die Wissenschaftlergruppe um Trinks mindestens 40 Geheimpatente zum Thema "Hohlladung".

Ungefähr zu der Zeit, zu der die Hohlladungsforscher entscheidende neue Erkenntnisse mit der Röntgenblitzfotographie sammelten, wurden in einer anderen Wissenschaft, der Strömungsforschung, ebenfalls sensationelle Fortschritte erzielt. Den Anstoß für eine völlig neue Arbeitsrichtung in der Kernphysik gaben die grundlegenden theoretischen Arbeiten von Adolf Busemann und Gottfried Guderley. Entscheidend an ihren Arbeiten war, dass sie eine Möglichkeit aufzeigten, wie man mit Hilfe von Schockwellen Druck- und Temperatursprünge in einen kleinen Bereich um das Konvergenzzentrum herum erzielen konnte. So trugen die For-schungen von Guderley und Busemann dazu bei, dass man erstmals über Temperatuspitzen nachdenken konnte, die wie eine "Zündkerze" in einem Fusionsmaterial wirken sollten. Über die korrespondierenden Mitglieder der Akademie der Luftfahrtforschung, Walther Gerlach und Carl Ramsauer gelangten diese Erkenntnisse zu den Kernphysikern. Forschungsgruppen des Heereswaffenamtes (Schumann/Trinks) und des Marinewaffenamtes (Buchmann/Haxel) versuchten daraufhin, Kernfusionsreaktion mittels des Hohlladungseffektes einzuleiten.

Ließ sich die enorme Energiekonzentration im Strahl einer detonierenden Hohlladung für einen nuklearen Effekt ausnutzen? Erich Schumann gab Walther Trinks im Oktober 1943 grünes Licht für den Beginn einer Versuchsreihe, mit der "Atomenergie durch Reaktionen zwischen leichten Elementen freigemacht" werden sollte. Die Schwierigkeit bestand nun darin, den Sprengstoff im Bruchteil einer Sekunde gleichzeitig zu zünden. Im Effekt dessen wurde das eingeschlossene Deuteriumgas außerordentlich rasch verdichtet und sehr hoch erhitzt. Damit sollten die Bedingungen für D-T-Reaktionen geschaffen werden.

Nachdem die Wissenschaftler des HWA mit großen Hohlkugeln Erfahrungen gesammelt hatten, versuchten sie es mit etwas kleineren Anordnungen. Als besonders günstig erwies sich die Verwendung von zylindrischen Druckgefäßen.

Als Gerlach den Posten an der Spitze des Uranvereins übernahm und von den im Herbst 1943 begonnenen Versuchen erfuhr, Kernreaktionen mittels Hohlladungen auszulösen, nahm er sich des Themas an. Um diese Forschungen zu flankieren, baute er an seinem Münchener Institut eine Arbeitsgruppe zum Problem der Höchstdrucke auf.

Unter der Regie von Gerlach und später der SS wurden 1944/45 mehrere Tests nuklearer Hohlladungen durchgeführt. Noch bis Ende März 1945 hoffte die SS-Führung mit diesen, modern ausgedrückt taktischen Kernwaffen, eine Kriegswende herbeiführen zu können.