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Christian Kehrt

"Schneid, Takt und gute Nerven". Der Habitus deutscher Militärpiloten und Beobachter im Kontext technisch strukturierter Handlungszusammen-hänge, 1914-1918

Der Luftkrieg war entgegen seiner populären Stilisierung im öffentlichen Diskurs keineswegs ein heroischer Zweikampf, sondern eine hochtechnisierte Form der Kriegsführung, die wesentliche Entwicklungen des Zweiten Weltkrieges vorwegnahm. Dennoch verstanden sich die beteiligten Akteure nicht als "technische Dienstleister" oder funktionelle Teile eines technischen Systems, sondern als heroische Akteure, die fest in die militärischen Traditionen eingebunden waren. Die scheinbare Diskrepanz zwischen den wirkungsmächtigen Bildern vom Krieg als "ritterlichem Duell" und den tatsächlichen Kriegserfahrungen lässt sich nur mit einem kulturgeschichtlichen Zugang verstehen, der nicht auf der diskursiven Ebene stehen bleibt, sondern die praktischen Funktion dieser kulturell konstruierten Deutungsmuster im Kontext technisierter, kriegerischer Gewalterfahrungen untersucht.

Im Mittelpunkt der Betrachtung steht die exemplarische Beschreibung der Mensch/Maschine Interaktion in einem Aufklärungsflugzeug. Das sogenannte C- oder Arbeitsflugzeug war als Universaltyp angelegt und vereinte eine Vielzahl technischer Geräte und Funktionen. Steuermechanismus, Motor, Maschinengewehr, Bombenabwurfgerät, Luftbildkammer, Funkapparat, Kompass etc. mussten während des Fluges bedient werden und verlangten von den Akteuren Vertrautheit im Umgang mit der Technik. Das arbeitsteilige und zugleich symbolisch vermittelte Verhältnis von Pilot und Beobachter bildete die funktionelle Grundeinheit des Kriegsfluges und bietet sich für die Frage nach dem Verhältnis der Soldaten zur Technik an. Anhand des Quellenmaterials lassen sich im Kontext technisch strukturierter Handlungsformen symbolisch bedingte Konfliktlinien zwischen Offizier/Unteroffizier und Pilot/Beobachter nachweisen. Die mit dem Fliegen neugeschaffenen Aufgaben und Interaktionsformen ließen sich nicht reibungslos mit den traditionellen Befehlshierarchien des Militärs vereinbaren. Dennoch kann man nicht, so die These dieses Papers, von einer Entkopplung der symbolisch vermittelten militärischen Hierarchien von den technisierten Handlungsformen ausgehen. Die Integration technischer Artefakte in den Kriegskontext blieb auf die im Habitus der Akteure angelegten praxisstrukturierenden Dispositionen angewiesen.