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Bernd Lemke

Entwicklung und Einführung von Waffensystemen in den sechziger Jahren als Ausdruck europäischer (Ohn)Macht? Starfighter und Senkrechtstarter als historische Folie für die heutige Situation

Die aktuellen politischen und militärischen Krisen und Kriege zeigen aus der militärtechnischen Perspektive ein eindeutiges gewaltiges Übergewicht der Vereinigten Staaten. Deren Ausrüstung, die durchaus selbstbewusst, ja sogar kriegerisch propagiert wird (siehe z.B. die TV-Dokumentationen auf N24), ist in vielen Bereichen der Ausstattung der Europäer konzeptionell, technisch und militärisch weit überlegen. Beispiele sind z.B. das GPS-System, global einsetzbare Waffensysteme der Luftwaffe, Konzepte zur Nutzung des erdnahen Weltraumes.

Die Europäer hinken auf den meisten Gebieten hinterher, obwohl sie technologisch gesehen alles andere als Entwicklungsländer sind. Gemessen am Gesamtpotential an Menschen und Ressourcen, das in Europa insbesondere auch nach der EU-Erweiterung vorhanden ist, müsste man eigentlich zumindest auf gleichem Stand mit den USA sein.

Das Projekt versucht, diese Schieflage aus historischer Perspektive zu beleuchten. Quasi als Folie sollen die Probleme der Europäer bei den ersten großen Luftwaffen-Rüstungsprojekten im Kalten Krieg beleuchtet werden. Es wird vor allem um die Beschaffung der Hauptwaffensysteme gehen, dies aus deutscher Perspektive.

Als die deutsche Luftwaffe 1955 erneut an den Start ging, wurde allen Beteiligten schnell klar, dass die technische Entwicklung eine neue Generation von sehr teuren Maschinen (Waffensystemen) zeitigen würde. Für die BRD würde daher nur ein Haupttyp in Frage kommen. Diese Einsicht führte dazu, dass diese Frage dann auch schnell zum Politikum wurde. Die Diskussionen um die Ausrüstung erreichte 1956-58 einen Höhepunkt, der mit der Anschaffung der F-104 Starfighter endete. Die Entscheidung, die maßgeblich von Franz-Josef Strauß und dem ersten Inspekteur der Luftwaffe Kammhuber getroffen wurde, erregte erheblichen Protest, dies nicht erst im Rahmen der dann folgenden Absturzkrise in den sechziger Jahren. Insbesondere kam zum Tragen, dass die europäischen Nachbarn, vor allem die Franzosen und die Briten eigene Waffensysteme mit kompletten Einsatzkonzeptionen verkaufen wollten und dementsprechend in allen wichtigen Gremien intervenierten (WEU-Rüstungsausschuss, BMVtg., Deutscher Bundestag). Insbesondere die Mirage III, die Paris mit aller Vehemenz als Standardsystem zumindest für Kontinentaleuropa zu etablieren versuchte, wurde noch Jahre nach der Entscheidung als Alternative zur F-104 propagiert, dies teilweise auch mit idealisti-schen Argumenten.

Das Projekt versucht die Entscheidungsprozesse, insbesondere die Verbindung von Technik, wirtschaftlichem Interesse und öffentlicher Propaganda bzw. Kampf, zu verdeutlichen. Dabei soll auch um die transatlantischen Beziehungen gehen. Die USA, die den Großauftrag dann verbuchen konnten (Lockheed), hatten in den sechziger Jahren dann erhebliche Mühe im Um-gang mit den Auftraggebern, die, wie ein Beobachter vermeldete, angesichts der Absturzkrise teilweise wie die "Hornissen" bei der US-Regierung vorstellig wurden und die Abstellung der Mängel verlangten. Dabei erhob sich auch der Vorwurf der "Ausbeutung" (Kapitalismuskritik), der von den Amerikanern umgehend zurückgegeben wurde, da insbesondere die marode deutsche Rüstungsindustrie von dem technologischen Input durch den Lizenzbau profitierte.

Ein weiterer Fokus ist die Geschichte der Senkrechtstarterprojekte, insbesondere der deutschen VJ-101 und der VAK-191, den letzten großen nationalen Vorhaben. Der Scheitern ging in starkem Maße auf die fehlende internationale Kooperation zurück. Schließlich soll in einem Ausblick noch kurz gefragt werden, ob die Probleme der sechziger Jahre einen Lerneffekt für die nachfolgenden Waffensysteme zur Folge hatten (Tornado, Eurofighter) oder ob die euro-päische Entwicklung bis heute nur die alten Schwierigkeiten perpetuiert, d.h. ob man auf der Stelle tritt.

Vor diesem Hintergrund soll die aktuelle Situation beleuchtet werden. Auch heute noch betrachten deutsche Verantwortliche die USA nicht selten immer noch als den entscheidenden Lichtpunkt für die militärtechnische Entwicklung. Hat Europa angesichts der nationalen 'Zersplitterung" demgegenüber überhaupt eine Chance gleichzuziehen? Wird dies überhaupt gewünscht? Welche Optionen stehen hier offen? Hätte dies dann eine direkte Konkurrenz- oder gar Konfliktsituation mit den USA zur Folge?

Diese und andere Fragen sollen anhand der genannten Rüstungsprojekte erörtert werden. Dabei ist explizit die technische Entwicklung in Verbindung mit der politisch-wirtschaftlichen Macht- und Interessenlage zu diskutieren. Die Beschäftigung sollte sich nicht auf Grundsatzdebatten um die Machbarkeit politischer Visionen, also etwa der Europäischen Einigung, erstrecken.