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Karsten Uhl

Deckgeschichten: Von der Hölle zum Mond - das KZ Mittelbau-Dora in Film und Literatur

Das KZ Mittelbau-Dora wird von der historischen Forschung als paradigmatisch für die KZ-Zwangsarbeit angesehen. Zum Zwecke der Untertageverlagerung der Rüstungsindustrie - u.a. der Produktion der "V2"-Rakete - wurden 60.000 Menschen aus dem besetzten Europa in den Südharz verschleppt.

Dieser Vortrag beschäftigt sich mit in der Kulturindustrie zirkulierenden Deckgeschichten der Nachkriegszeit, in denen die Rede von Mittelbau-Dora auf den Raketenmythos beschränkt ist, und die mit dieser Thematisierung überhaupt das Schweigen über das KZ erst möglich machen. Unter dem (unausgesprochenem) Motto "Von der Hölle zum Mond" lesen diese - von der eigentlichen KZ-Geschichte ablenkenden - Narrative Mittelbau-Dora in eine Erfolgsgeschichte ein. Als diskursive Basis dieser Erzählung lässt sich ein wichtiges Erzählmuster der Moderne ansehen: die fortschrittsgläubige Grundannahme, das Böse bringe letztlich doch Gutes hervor.

In diesem Sinne ließe sich etwa der 1959 entstandene Film "Wernher von Braun - Ich greife nach den Sternen" verstehen. Hinter dem - ebenfalls vom Kalten Krieg geprägten - Raketenkult erscheint Brauns NS-Vergangenheit als bloße Vorgeschichte der (unpolitischen) technischen Innovation. Der blinde Fleck dieser Produktion lässt sich schon mit der zeitgenössischen Kritik an ihr verdeutlichen. So schlug der amerikanische Komiker Mort Sahl als Untertitel für den Film - im Original "I aim at the stars" - vor: "... But sometimes I hit London."

Andererseits entfaltet der Diskurs "Von der Hölle zum Mond" seine Wirkungsmächtigkeit auch in Erzählungen, deren Autoren keine apologetische Intention verfolgten. So findet sich auch in den Erinnerungen vieler Dora-Überlebender die Aussage, "unser" Aufstieg in den Weltraum sei erst durch die Leiden der Häftlinge in Dora möglich geworden (u. a. Jean Michel. Dora. Paris 1975). Die Komplexität und die Funktion dieses Diskurses zu beschreiben, ist Ziel dieses Vortrages.