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Constantin Canavas

Das kurze Leben einer institutionalisierten öffentlichen Technikbewertung. Entstehung, Wirkung und Niedergang der mündlichen Erörterung in der Praxis des deutschen Gentechnikgesetzes

Gentechnische Aktivitäten in Deutschland – seit den 1980er Jahre ein öffentlich höchst
umstrittenes Unterfangen – werden seit 01.07.1990 durch ein einschlägiges Gesetz reglementiert.
Auch die neu geschaffene gesetzliche Reglementierung konnte weder öffentliche Proteste noch
Aktivismus einzelner Organisationen dämpfen; in einzelnen Fällen hat sie sie sogar angeheizt.
Ein Instrument mit großer, wenn auch umstrittener öffentlicher Resonanz war von Anfang an die
gesetzliche Regelung der Öffentlichkeitsbeteiligung – z.B. im Rahmen der Genehmigung der
Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen in die Umwelt. Diese Regelung spiegelt die
Verankerung des Gentechnikrechts innerhalb des Umweltrechts wider und stammt aus den
Erfahrungen, die bei umweltrechtlichen Konflikten gewonnen wurde. Vor diesem Hintergrund
wurden die Erwartungshorizonte von Behörden und verschiedenen Teilöffentlichkeiten auf die
neue Technologie (Gentechnik) projiziert. Gerade der in der Gesetzesfassung von 1990
vorgesehene Termin zur mündlichen Erörterung entwickelte eine konfliktreiche Eigendynamik,
sowie Formen der Technikkommunikation und öffentlichen Technikbewertung, die über de
Erwartungen von Behörden und Antragstellern weit hinaus zielten. Für die betroffenen Anlieger,
die engagierten kritischen Beobachter und die gentechnikkritischen Aktivisten wurde der
Erörterungstermin zu einer Gelegenheit der öffentlichen kritischen Stellungnahme und
umfassenden Kritik gentechnischer Eingriffe. Indem die gesetzgebenden Akteure und ihre
Fachgutachter die fachinformationelle Funktion des Instruments besonders gewichteten, konnten
(oder wollten?) sie der meistens polemisch durchgeführten mündlichen Erörterungen wenige
Ergebnisse abgewinnen, die nicht allein über schriftliche Stellungnahme erzielbar gewesen
wären. Die gesetzliche Drosselung der Öffentlichkeitsbeteiligung im Genehmigungsverfahren
bereits durch die erste Gesetzesnovellierung (01.01.1994) und die Weiterführung dieser
Neuregelung in den späteren Novellierungen ließen andere Funktionen dieses Instruments (wie
Verfahrenslegitimation, öffentliche Kontrolle und öffentliche Interessenvertretung) in den
Hintergrund geraten.

Trotz seiner kurzen Lebensdauer kann nachgezeichnet werden, dass der mündliche
Erörterungstermin einen erheblichen Beitrag zur öffentlichen Wahrnehmung gentechnischer
Anwendungen in Deutschland leisten konnte. Gleichwohl wurde er im politischen Gerangel
zwischen den Ansprüchen der verschiedenen Akteure nach Effizienzsteigerung des
Genehmigungsverfahrens (Behörde), Technikakzeptanz (Antragsteller) und vorsorgender
Technikeinzäunung (Öffentlichkeit) geopfert. Vor dem Hintergrund der weiteren Entwicklungen
von Technik und Technikwahrnehmung (Patentierungsauswirkungen, faktische Kontamination,
anhaltende öffentliche Ablehnung in Deutschland) kann gezeigt werden, wie der Wandel der
Technikkommunikation zunehmend auf Unmittelbarkeit (wie z.B. die mündliche Erörterung)
verzichtet und auf erweiterte Regulierungsnetzwerke (Haftung in Kontaminationsfall, Koexistenz
gentechnikfreier und gentechnisch veränderter Pflanzen) hinsteuert.