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Reinhold Bauer

Der Elektropflug als „Medienereignis” im Deutschen Kaiserreich?
Zur Geschichte einer wirtschaftlich gescheiterten aber propagandistisch erfolgreichen Innovation

Vor allem um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert brachte es der damals neue Elektropflug
in Deutschland zu einiger Prominenz. Dieser fast ausschließlich publizistische bzw.
propagandistische Erfolg des neuen Ackerbaugerätes war vor allem darauf zurückzuführen, dass
es als technische Lösung für eine ganze Reihe von nicht technischen, nicht zuletzt
gesellschaftlichen Problemen erschien. In einer Phase der rasanten industriellen Expansion sahen
seine Befürworter im Elektropflug geradezu ein Allheilmittel für die Problemen der deutschen
Landwirtschaft und der ländlichen Gesellschaft.

Insbesondere die Großagrarier im preußischen Osten betrachteten den Elektropflug als nützliches
Hilfsmittel im Kampf gegen ihren realen ökonomischen und drohenden politischen
Bedeutungsverlust. Für seine konservativen Befürworter galt der neue Pflug als unterstützendes
Element in ihrem Abwehrkampf gegen den Wandel der gesamtwirtschaftlichen Struktur, gegen
hohe horizontale und im Endeffekt auch vertikale Mobilität, gegen die damit einhergehende
Emanzipation von Minderprivilegierten, gegen Urbanisierung bzw. Entagrarisierung,
schlussendlich also im Kampf gegen den breiten Entwicklungsstrom, der gemeinhin als
„Modernisierung“ bezeichnet wird. In diesem Sinne stellten Elektropflüge eine recht
eigentümliche Allianz zwischen der Elektroindustrie, also einem der industriellen
Führungssektoren der Hochindustrialisierungsphase und geradezu einem Symbol des
beschleunigten Wandels, und denjenigen konservativen, ja reaktionären Kräften her, die gerade
diesen Wandel zu verhindern suchten. Hier deutete sich bereits im späten Kaiserreich das
komplexe Spannungsverhältnis zwischen modernen Mitteln und rückwärtsgewandten Zielen an,
das Jeffrey Herf mit Blick auf die Entwicklungen im „Dritten Reich“ mit dem nicht
unproblematischen Begriff des „Reactionary Modernism“ beschrieben hat.

Die im Vortrag zu vertretende These lautet, dass für die besondere Aufmerksamkeit, der sich der
neue Pflug erfreute, weniger dessen technische Eigenschaften als vielmehr dessen Wahrnehmung
bzw. Deutung entscheidend waren. Der Pflug wurde von seinen Befürwortern als eine die
traditionelle ländliche Gesellschaft revolutionierende oder – insgesamt verbreiteter –
stabilisierende Technologie wahrgenommen. Es handelt sich beim Elektropflug um ein
„soziotechnisches Artefakt“, mit dem explizit konkrete gesellschaftliche Zielvorstellungen
verknüpft wurden und das insbesondere im preußischen Osten gesellschaftsprägend bzw.
gesellschaftsstabilisierend wirken sollte. Die öffentliche Diskussion um die gesellschaftliche
Wirkung des Elektropfluges verselbständigte sich dabei im späten Kaiserreich soweit, dass die
tatsächlichen Voraussetzungen für seinen Einsatz zeitweilig aus dem Blick gerieten.