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Anke Hertling

TechnikStil und StilTechniken: Technik und Ästhetik in der Literatur der Neuen Sachlichkeit

Der Schock des Ersten Weltkriegs sowie die politischen und wirtschaftlichen
Ohnmachtserfahrungen der jungen Weimarer Republik sind Auslöser für eine verstärkt
gesellschaftlich konstruktive Sinnbesetzung von Technik in den 20er Jahren: In der Hoffnung auf
gesellschaftliche Stabilität strebt man, wie Helmuth Plessner schreibt, eine „Kulturerneuerung
durch Technik“ an, die auch von Autoren wie Heinrich Hauser, die unter der literarischen
Bewegung der Neuen Sachlichkeit subsumiert werden, explizit mitgetragen wird.
Die kulturstiftende Einstellung zur Technik geht mit einem ästhetischen Paradigmenwechsel in
der Literatur einher. Die literarische Ästhetik der Neuen Sachlichkeit verpflichtet sich der
technisierten Wirklichkeit und insistiert damit auf eine Abgrenzung zum Expressionismus. Die
poetologische Präsenz von Technik findet sich dabei nicht nur – wie Forschungen zur Literatur
der Neuen Sachlichkeit bereits gezeigt haben – in der neusachlich-literarischen Thematisierung
von Industriearbeit oder im Ingenieursroman. Technische Prinzipien selbst wie Präzision oder
Zweckmäßigkeit aber auch Methoden industrieller Fertigung wie Montage prägen die
poetologischen Leitlinien der Neuen Sachlichkeit und werden zur formalästhetischen Innovation,
um den Gegensatz zwischen Kunst und Lebensrealität zu überwinden.

Neusachliche Vertreter betonen ausdrücklich eine Reduktion der Bildhaftigkeit technischer
Artefakte. Den bildlichen, oft libidinösen Vereinnahmungen von Technik besonders durch den
Expressionismus setzt man einen „sachlichen Umgang“ mit den Dingen, die die technisierte
Wirklichkeit bereitstellt, entgegen. Die von der Literaturwissenschaft gern praktizierte Suche
nach literarischen Technikbildern greift deshalb im Untersuchungsfeld Technik und Literatur der
Neuen Sachlichkeit von vornherein zu kurz. Es soll vielmehr gezeigt werden, wie die Prinzipien
von Technik bei der Formulierung ästhetischer Parameter aufgegriffen werden und die
neusachlichen Forderungen u.a. nach Aktualität, Entfiktionalisierung und Entsentimentalisierung
der Literatur wesentlich bestimmen. Dass das Bekenntnis zur technisierten Wirklichkeit mit der
Absage an ein klassisches, und das konnotiert auch ein antimodernistisches Dichterbild und
Literaturverständnis verbunden ist, soll explizit an Beispielen von vertextualisierten
Darstellungen des Verhältnisses von Mensch und Technik in der Literatur der Neuen Sachlichkeit
dargelegt werden.