010.png

Wissen und technologische Pfade. Zu einem Aspekt der Konstruktionskultur im deutschen Maschinenbau

Mirko Buschmann

Der Vortrag möchte nach dem Stellenwert fragen, den theoretisches Wissen
für die Konstruktionskultur im deutschen Maschinenbau einnahm und
einnimmt, seine Bedeutung für die Disziplingeschichte abschätzen und
seine Rolle für das im deutschen Maschinenbau durch das 20. Jahrhundert
hinweg wirkende konstante Leitbild technischer Excellenz diskutieren.

Im deutschen Maschinenbau dominierte seit dem 19. Jahrhundert die
Auffassung, dass Forschung und Ausbildung auf das vermeintlich finale
Ziel technischen Schaffens, die Konstruktion, zu orientieren seien.
Standen doch im Zentrum der industriellen Praxis in Deutschland Aspekte
der Konstruktion bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Fertigung. Das
Konstruktionsbüro wurde im Zuge solcher Prägungen als das Herz jeder
Firma begriffen. Die Konstruktion galt als wissenschaftsgeleiteter
Prozess, der prinzipiell theoretisch fassbar war und in einschlägigen
Bildungsinstitutionen gelehrt wurde. Obwohl dies seit den 1880er Jahren
im so genannten Methodenstreit in den Technikwissenschaften eine gewisse
Relativierung erfuhr, kann in Deutschland ein Muster der
Verwissenschaftlichung dieses technischen Sektors identifiziert werden,
das sich von jenen anderer Gesellschaften signifikant unterschied.

Der Vorrang konstruktionsorientierter Forschung und Ausbildung ist
schließlich ebenso als Phänomen der epistemischen Kultur in Deutschland
zu deuten. Vor dem Hintergrund sich in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts ausformender szientistischer Leitbilder in den
Technikwissenschaften nahm die wissenschaftliche Durchdringung der
Technik in Deutschland im internationalen Vergleich spezifische Züge an:
Die deutschen Technikwissenschaften übernahmen das Leitbild eines
Vorrangs der Grundlagen- vor der anwendungsorientierten Forschung.
Selbst diese als "sciences of doing" an der Schnittstelle von
Wissensproduktion und Wissensanwendung situierten Disziplinen verfolgten
eine grundlagenorientierte Verwissenschaftlichungsstrategie und
entwickelten eine deutliche Tendenz zur Abschottung vor allzu
anwendungsnahen Forschungen und kurzfristigen Außenreizen. Solche
Leitbilder jedoch ließen sich für die Konstruktion sehr viel besser
umsetzen als für Fertigungsprozesse. Die Problemstellungen der Fertigung
entzogen sich dagegen noch geraume Zeit weitgehend stringenter
Modellbildung und möglichst mathematisch-theoretischer Deutung. Daher
entsprachen sie ganz und gar nicht dem Idealbild epistemischer
Absicherung in den klassischen Technikwissenschaften.