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Zwischen Technisierung und Verwissenschaftlichung

Manuel Schramm

Der Vortrag beschäftigt sich mit dem Wandel von Wissensformen in der
Geodäsie und Kartographie nach dem Zweiten Weltkrieg. Entgegen mancher
Theorien von der Wissensgesellschaft kann, so das Argument, nicht von
einer linearen Verwissenschaftlichung dieser beiden Disziplinen im 20.
Jahrhundert gesprochen werden. Der entscheidende Wandel in der Geodäsie
und Kartographie des 20. Jahrhunderts vollzog sich eher durch die
Integration neuer Technologien wie der Elektronischen Datenverarbeitung
und Satellitentechnik, so dass Technisierungsprozesse die überkommenen
Wissenskulturen herausforderten und teilweise transformierten. Das heißt
nicht, dass Verwissenschaftlichung im 20. Jahrhundert keine Rolle
gespielt hätte. Gerade in der Kartographie gab es nach dem Zweiten
Weltkrieg starke Bemühungen, diese als eigenständige Disziplin zu
etablieren. Das Problem war jedoch, dass diese
Verwissenschaftlichungsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland auf
der Grundlage älterer Wissensformen mit ihrer Betonung
handwerklich-künstlerischer Kompetenz erfolgten und somit in einem
Spannungsverhältnis zu den in den 1960er Jahren verstärkt einsetzenden
Technisierungsprozessen standen.

In der Geodäsie war die Situation anders, da hier schon mit der
Institutionalisierung der Disziplin im späten 19. Jahrhundert ein
weitgehend mathematisiertes Methodenideal verankert worden war. Hier
stand in der Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem die Photogrammetrie im
Mittelpunkt der Diskussion, die mit ihren neuartigen Methoden
(Verwendung von Bildern anstelle von Messungen am Boden) die
traditionelle Wissenskultur der Geodäten herausforderte. Das Beispiel
demonstriert nicht bloß die bekannten Grenzen der Verwissenschaftlichung
von Technik, sondern zeigt darüber hinaus, dass
Verwissenschaftlichungsprozesse sogar kontraproduktiv für die Einführung
neuer Technologien sein können.