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Epistemische, technische und unscharfe Momente im empirischen Forschungsprozess

Rudolf Seising

Um reale Systeme einer wissenschaftlichen Untersuchung zugänglich zu machen, bringt man sie mit einer theoretischen Struktur in Verbindung, und dazu wird auch ihnen selbst eine Struktur zugeschrieben. „Wie dies genau geschieht, ist weithin unklar und darf wohl als eines der zentralen Probleme der Wissenschaftstheorie bezeichnet werden.“ schrieb der Wissenschaftstheoretiker Wolfgang Balzer 1982: „Das Problem besteht darin, einen Zusammenhang zwischen konkreten Systemen und „theoretischen“ Strukturen herzustellen. Wir nehmen im Folgenden an, daß ein solcher Zusammenhang hergestellt werden kann. Ohne diese Annahme hat es keinen Sinn, von empirischer Wissenschaft zu reden.“

Ausgehend von einem realen System erhält der Wissenschaftler einerseits eine Datenstruktur, andererseits erstellt er ein diese Struktur des Systems darstellendes Modell. Vereinfachend wird in diesem Zusammenhang von einer „Abbildung der Realität durch Theorie“ gesprochen.

Die zwischen exakt-mathematischen empirischen Theorien und realen Systemen bestehende Kluft und die Suche nach Möglichkeiten, sie zu überbrücken, motivierten in den 1960-er Jahren den Elektrotechniker Lotfi A. Zadeh eine „mathematics of cloudy or fuzzy quantities“ zu erwägen, und sie schließlich als Theorie der Fuzzy Sets and Systems zu etablieren. Diese mathematische Theorie bietet die Möglichkeit zur „Fuzzifizierung“ von Begriffen, Methoden und Theorien – eine Transformation, die wissenschaftstheoretisch nachvollzogen und reflektiert werden kann, indem das Gerüst der strukturalistischen Theorienauffassung entsprechend ergänzt wird: Fuzzy Sets fungieren als neues Modellierungswerkzeug in der Wissenschaftstheorie.

Mit Fuzzy Sets können unscharf begrenzte Mengen und Strukturen erfasst werden. In den von Hans-Jörg Rheinberger in die Wissenschafts- und Technikforschung eingeführten Experimentalsystemen, greifen Strukturen − „epistemische“ und „technische Dinge“ − „voneinander nicht trennbar ineinander“, die Rheinberger als „in ein zeitlich und räumlich nicht-triviales Wechselspiel verwickelt“, „verschwommen“ und „vage“ charakterisierte.

Können diese Auffassung „unscharfer“ von technischen Dingen „eingefasster“ epistemischer Dinge und die um eine „Fuzzifizierungstransformation“ erweiterte strukturalistischen Wissenschaftsauffassung einander ergänzen?