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Karin Zachmann

Das Geschlecht der Technik und die Ordnung der Geschlechter

Struktur und Selbstverständnis moderner Gesellschaften werden maßgeblich durch Technik geprägt. Dabei ist das, was als Technik anerkannt und erfolgreich genutzt wird, stets das Ergebnis gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse. In diesen wird immer auch über Geschlechterverhältnisse entschieden. Bei Entwürfen und Entwicklungen, bei Produktion und Gestaltung, bei Vermarktung und Anwendung technischer Produkte und Verfahren kommt immer indirekt, bisweilen auch direkt die jeweils aktuelle Geschlechterordnung ins Spiel. Die Untersuchung dieser wechselseitigen Beeinflussung von Technik und Geschlecht, eine Ko-Konstruktion im Sinne der sozialwissenschaftlichen Technikforschung, erschließt wichtige Erkenntnispotenziale für die Technikgeschichte.

So werden neue Bereiche von Technik sichtbar, wenn wir die auf die Geschlechterdifferenz bezogene Abgrenzung zwischen Technischem und Nichttechnischem auflösen. Vor allem die Techniknutzung jenseits von Herstellungskontexten rückt stärker in den Fokus der Technikforschung. Nutzer/innen erlangen als Akteur/e/innen von Technisierungsprozessen unsere Aufmerksamkeit. Auf neue Weise wird interessant, wie Lebensprozesse in modernen Gesellschaften technisch vermittelt sind.

Außerdem erlaubt es der erweiterte Interpretationsrahmen, die symbolische Funktion von Techniken angemessener zu erschließen. Welche Techniken im Rahmen einer gegebenen kulturellen Ordnung bzw. in spezifischen historischen Epochen Signifikanz erlangen, kann bei Berücksichtigung der je konkreten Gestalt der Geschlechterordnung besser verstanden werden.

Schließlich wird mit dem Bezug auf Technik die komplexe Wirkungsweise von Geschlecht als Ordnungskategorie durchschaubarer. Aufzuzeigen, dass und wie Technik die Differenzierung nach binär gedachten Geschlechtern bekräftigen oder außer Kraft setzen kann, verweist zum einen auf den kontingenten und kontextabhängigen Charakter der Unterscheidung und schärft zum anderen die Frage nach der erstaunlichen Persistenz der Unterscheidung im historischen Wandel. Technik hat maßgeblich daran mitgewirkt, dass ungeachtet des Gleichheitsanspruchs der Moderne die Differenzierung und gleichzeitige Hierarchisierung nach Geschlecht andauert. Zur Aufwertung und materiellen Verfestigung der Unterscheidung nach dem Geschlecht kommt es auch noch heute immer aufs Neue, weil in der Überflussgesellschaft die zielgruppenspezifische Entwicklung, Gestaltung und Vermarktung von Produkten als wichtige Grundbedingung für den Erfolg von Innovationen gilt.