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Jessica Heesen

Der dezentrale Roboter und das postmoderne Subjekt

Mit der Konvergenz der Informationstechniken überschreitet auch der Roboter die Grenzen seiner Gestalt hin zu den so genannten Bots, den virtuellen Software Agenten [vgl. Gates 2006]. Roboter erscheinen nunmehr als Inbegriff einer dienstbaren Umgebung, die in virtueller wie auch physischer Form – gegebenenfalls in menschlicher Gestaltung – auftreten können. Humanoide Roboter und in neuerer Zeit Avatare erlangten im Gegensatz zu den rein funktionalen Industrierobotern eine besondere Symbolkraft: sie verweisen auf den Roboter als Alter Ego, als technisches Artefakt, das dem Menschen in seinen Eigenschaften ähnlich ist.

Der Beitrag will zum Einen zeigen, inwiefern Roboter und das für sie zentrale Attribut einer teilautonomen Handlungsfähigkeit sich mit den Zukunftsvisionen des Ubiquitous Computing [vgl. Weiser 1991] verbindet. Andererseits soll deutlich werden, dass hier ein Schlüssel für das Verständnis vom Wechselverhältnis zwischen technischen Artefakten und der Konstruktion des menschlichen Selbst liegt. In subjektkritischen und postmodernen Theorien fand im 20. Jahrhundert eine Aufwertung der Wechselbeziehung zwischen dem Selbst und der gesamten bewusst und unbewusst erfahrbaren Welt in Bezug auf die Herstellung menschlicher Identität statt. Als Kritik an der Vorstellung vom rationalen Subjekt und den daraus hervorgehenden Herrschaftsansprüchen gegenüber seinen Umwelten formulierte die Postmoderne das Gegenkonzept einer pluralen Identität, die sich nicht durch eine Entgegensetzung von Subjekt und Objekt, sondern durch ihre Vermitteltheit konstituiere [vgl. Deleuze 1977; Foucault 1987; Haraway 1995].

Die Auffassung einer Konstituierung von Identität über ein Wechselspiel von „Innen“ und „Außen“ fand mit der Etablierung des Internet einen Bezug auf die elektronischen Interaktionsnetzwerke. Beispielhaft hierfür sind Konzepte zur Übertragung der menschlichen Vernunftvermögen an das Internet, die Annahme einer Repräsentation des modernen, dezentrierten Bewusstseins durch den Hypertext oder die Idee einer neuen Verwirklichung von Intersubjektivität durch die Informationstechnik [vgl. Flusser 1996; Bell 06, MIT 09]. Entwicklungen hin zu einem „Internet der Dinge“ [Fleisch 05], also der informationstechnischen Erschließung der gegenständlichen Umgebung, sind als Steigerung der Idee einer konstitutiven Abhängigkeit der Identitätsausbildung von materialen Parametern zu verstehen.

Der Beitrag will verdeutlichen, dass rationalitätskritische Theorien des postmodernen Subjekts durch die neuen Generationen autonomer Systeme eine ironische Wendung erfahren: eine durch den menschlichen Formwillen usurpierte Umgebung wird zum expliziten Kommunikationspartner; die Idee der reflexiven Identitätsausbildung wird pragmatisch ersetzt durch die adaptive Bildung von Nutzerstereotypen. Gleichzeitig offenbart die intelligente Umgebung, was die äußere Welt nach Auffassung vieler systemtheoretischer, postmoderner oder radikalkonstruktivistischer Positionen immer schon war: eine Konstruktion des menschlichen Geistes und Ausdruck seiner intersubjektiven Bedeutungszuschreibungen. Die Hybris der menschlichen Rationalität erfährt nach der radikalen Kritik an ihrem repressiven und vereinheitlichenden Formwillen ihre Sublimierung in dem Modell einer allgegenwärtigen, teilautonomen Intelligenz, versinnbildlicht im neuen Typ des dezentralen Roboters.

Referenzen

Deleuze, Gilles/Félix Guattari: Rhizom. Berlin 1977.

Fleisch, Elgar/Friedemann Mattern (Hg.): Das Internet der Dinge. Ubiquitous Computing und RFID in der Praxis: Visionen, Technologien, Anwendungen, Handlungsanleitungen. Berlin/Heidelberg 2005.

Flusser, Vilém: Die Revolution der Bilder. Der Flusser-Reader zu Kommunikation, Medien und Design. Mannheim 2. Aufl. 1996.

Foucault, Michel: Von der Subversion des Wissens. Darin: Paolo Caruso: Gespräch mit Foucault. Herausgegeben und aus dem Französischen und Italienischen übertragen von Walter Seitter, mit einer Bibliographie der Schriften Foucaults. Frankfurt a. M. 1987, 7 – 28.

Gates, Bill, A Robot in Every Home. Scientific American Magazine, December 16, 2006, http://www.sciam.com/article.cfm?id=a-robot-in-every-home

Gemmell, Jim/Gordon Bell/Roger Lueder, MyLifeBits: A Personal Database for Everything. Communications of the ACM, Vol. 49, No. 1, 2006, 88 – 95.

Haraway, Donna: Die Neuerfindung der Natur. Frankfurt am Main/New York 1995.

MIT Center for Collective Intelligence, http://cci.mit.edu/index.html (Zugriff 2.1.2009)

Weiser, Marc, The Computer for the 21st Century. In: Scientific American, September 1991, 66 – 75.