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Eric Lettkemann, Martin Meister

Vom Flugabwehrgeschütz zum niedlichen Roboter. Zur kybernetischen Vorgeschichte der Robotik - und zur heutigen Bezugnahme auf diese Geschichte

Historiker/innen wissen, dass Rekonstruktionen des Wesentlichen an den Vorgeschichten von Forschungsfeldern nicht nur eine mehr oder minder ‚objektive’, durch sozialwissenschaftliche Rekonstruktion aufklärbare, Funktion haben, sondern auch eine jeweils aktuelle, von den Akteuren im Feld konstruierte. Gerade in großen, heterogen Feldern wie der Robotik ist diese ‚subjektive’ Perspektive auf die Vorgeschichte aktueller Entwicklungen essentiell, da die Anrufung einer gemeinsamen geschichtlichen Herkunft eines der stärksten Bindungsmittel ist - niemand baut einen wirklich innovativen Roboter allein, viele Disziplinen müssen dauerhaft beteiligt sein. In unserem Beitrag wollen wir die These vertreten und empirisch untermauern, dass der historische Pfad der Robotik ohne den Bezug auf die historisch kontingenten Umstände der Entstehung der Ideen einerseits der Substitution des Menschen durch Roboter (die klassische Idee von Capek bis Eagleburger) wie andererseits der Mensch-Maschine-Partnerschaft (die mit Wiener beginnt und heute als „human-robot-symbiosis“ bezeichnet wird) nicht verstanden werden kann.

Unser Beitrag gliedert sich in drei Teile:

1) Wir wollen zunächst knapp, unter Bezug auf die einschlägigen STS-Forschungen (Galison, Bowker u.a.), zeigen, dass der ursprüngliche Impuls zur Konstruktion robotischer Systeme in der sehr speziellen Situation des zweiten Weltkrieges seinen Ursprung hat. Die beiden genannten Leitvorstellungen - Ersetzung des Menschen oder ‚gleichberechtigte Partnerschaft’ - sind als tief greifend prägende kulturelle Vorstellungen in dieser Zeit entstanden.

2) Wir wollen dann an eigen Beispielen zeigen, dass insbesondere die Leitvorstellung des Roboters als Partner noch heute sehr wirkmächtig ist, besonders im Bereich der sog, Servicerobotik - doch was ist in er Zwischenzeit passiert? Wir wollen einige Hinweise geben, wie sich diese Linie - in Opposition zur Industrierobotik - als modifizierte Version des kybernetischen Universalismus tradieren konnte.

3) Abschließend wollen wir an einigen Beispielen zeigen, dass der Bezug auf den kybernetischen Universalismus auch heute noch - oder wieder - eine gewichtige Rolle spielt - es sei nur Brooks genannt. Dieser Befund führt zu einer soziologisch wie historisch interessanten Frage: Welche Rolle spielt der historische Rückbezug für die aktuelle Entwicklung des -F&E-Feldes Robotik? Anders als viele bekannte Rekonstruktionen der kulturellen Geschichte der Robotik wollen wir abschließend die These zur Diskussion stellen dass dieser aktuelle Rückbezug so ähnlich funktioniert wie ein „boundary object“, Die gleichsam inoffizielle Anrufung der Geschichte des kybernetischen Universalismus ist demnach für viele Protagonisten der heutigen Robotik ein Mittel um die inter- und transdisziplinäre Orientierung an einem gemeinsamen F&E-Projekt aufrecht zu erhalten.

Der Beitrag erweitert unsere Publikation

Meister, Martin und Eric Lettkemann 2004, Vom Flugabwehrgeschütz zum niedlichen Roboter. Zum Wandel des Kooperation stiftenden Universalismus der Kybernetik. S. 105-136 in: Jörg Strübing, Ingo Schulz-Schaeffer, Martin Meister und Jochen Gläser (Hg.), Kooperation im Niemandsland. Neue Perspektiven auf Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technik. Leske + Budrich: Opladen.