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Erstes technikhistorisches Forum für Doktorand/innen und Habilitand/innen der GTG
Veranstalterinnen: Martina Heßler, Helmut Schmidt Universität Hamburg; Karin Zachmann, Technische Universität München

Datum, Ort: 06.07.2010-07.07.2010, München

Bericht von: Sonja Petersen, Hochschule für Gestaltung Offenbach
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Erstmals hatte die Gesellschaft für Technikgeschichte (GTG) zu einem technikhistorischen Forum für Doktorand/innen und Habilitand/innen im Kerschensteiner Kolleg des Deutschen Museums München geladen. Ziel war es, den Nachwuchswissenschaftler/innen der Technikgeschichte und angrenzenden Disziplinen eine Diskussionsplattform zu bieten und den Aufbau eines Forschungsnetzwerkes voranzutreiben, in dem inhaltliche und methodische Fragen der eigenen Forschung diskutiert werden können. Aber der Nachwuchs sollte nicht unter sich bleiben, vielmehr wurden die vorgestellten Projekte durch etablierte Technikhistoriker/innen kommentiert. Die Initiatorinnen, Karin Zachmann und Martina Heßler, ermöglichten den Doktorand/innen und Habilitand/innen dadurch nicht nur, unter einander Kontakte zu knüpfen, sondern auch mit erfahrenen Technikhistoriker/innen in Kontakt zu treten und wichtige Impulse für die eigene inhaltliche und methodische Ausrichtung und Vorgehensweise zu erhalten.

PETER KRAMPER (Freiburg) geht in seinem Habilitationsprojekt „‚The Battle of the Standards’. Messen, Zählen und Wiegen in Westeuropa 1750-1914“ der Frage nach, ob der Prozess der Standardisierung ein paradigmatisches Problem der Entstehung moderner Gesellschaften sei. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Maße und Gewichte Kristallisationspunkte des Übergangs von traditionellen Agrar- zu modernen Industriegesellschaften darstellten, als soziale Komponenten fungierten und integraler Bestandteil von wirtschaftlichen und sozialen Austauschbeziehungen waren. In der Diskussion wurde deutlich, dass die transnationalen Verflechtungen und ihr Einfluss auf die Standardisierung von Maßen und die internationale Organisation weiterer Forschung bedürfen. Soziale Konnotationen in Verbindung mit einem wissenschaftshistorisch angeregten Forschungsgegenstand zeigten sich auch in dem Promotionsprojekt von ZUZANNA PAPIERZ (Dortmund) „Der weiße Kittel. Repräsentationskultur in der Wissenschaft“. Am Beispiel des Kittels, seiner Verwendung, sich wandelnder Ausgestaltung und Bedeutung will sie diesen als epistemischen Zwischenraum, in dem sich der Prozess der Wissensproduktion zeigt, durch die Methode der qualitativen Dingbefragung untersuchen. In der Diskussion wurde auf die nicht zu vernachlässigende Bedeutung der Patienten, die ebenfalls eine wichtige Rolle in der Symboletablierung spielten und entscheidend durch ihre Wahrnehmungen zu selbiger beitrugen, verwiesen.

Technische Objekte stehen in den Projekten von ANIKA SCHLEINZER (Aachen), MONIKA RÖTHER (Aachen), SOPHIE GERBER (München), NINA LORKOWSKI (München) und CATARINA CAETANO DA ROSA (Aachen) in unterschiedlicher Weise im Fokus. Schleinzer untersucht in ihrer Dissertation „Spiel-Figur(ation)en – Die Ko-Konstruktion von ‚gender’‚ in technischem Spielzeug und dem kindlichen Körper“ die Materialisierung des Geschlechtsdiskurses sowie die Verkörperung von Männlichkeit und Weiblichkeit. Durch die Analyse von Baukästen, Puppenherden, soldatischem Militärspielzeug und Verkehrsmitteln will Schleinzer durch eine Diskursanalyse die Artefakte mit den jeweiligen historischen Diskursen verbinden. Sie fragt danach, wie Körpervorstellungen, Geschlechtsidentitäten und Rollenvorstellungen des kindlichen Nutzers durch die Artefakte geprägt wurden. Die Diskussion kreiste um die Bedeutung der Geschlechtsvorstellungen bei Erwachsenen und den Eltern, die die Geschlechterrollen der Kinder maßgeblich beeinfluss(t)en. Objekte ganz anderer Art stehen bei Röthers Dissertation „Musikalische Frei-Zeiten. Phonogeräte als Medien zur Ausdifferenzierung von Lebensstilen in der Bundesrepublik der ‚langen sechziger Jahren’“ im Zentrum. Sie untersucht Phonogeräte als Bestandteil des bürgerlichen Wohnkonzeptes und ihr Einfluss auf das Hörverhalten, dem Entfächern der familiären Hörgemeinschaft und den damit ermöglichten allgegenwärtigen Musikkonsum. Den in der Diskussion aufkommenden Einwand eines vorherrschenden Geschlechterverhältnisses konnte Röther durch die Analyse von Werbematerialien nicht bestätigen. Aufgegriffen wurde die Frage nach dem Zusammenhang zwischen verändertem Nutzungsverhalten und den sich wandelnden Wohnungen, denn erst durch ein eigenes Zimmer seien entsprechende Rückzugsmöglichkeiten gegeben, in denen die untersuchten Objekte zu nutzen waren. In dem Promotionsprojekt „‘Kluge Leute sparen Strom?ʼ Kühlschrank, Herd und Mikrowelle als Objekte des Energiekonsums“ werden durch Sophie Gerber Objekte des täglichen Gebrauchs untersucht. Gerber analysiert den Umgang der Nutzer mit Objekten, wie durch diese der Energiekonsum greifbar wurde und sich deren Bedeutung einhergehend mit der Technisierung des Privathaushaltes wandelte. In der Diskussion wurde deutlich, dass Gerber eine Verbindung zwischen den Objekten des Energiekonsums in der Küche und den sich wandelnden Essgewohnheiten anstreben könnte. Lorkowski nimmt in ihrem Promotionsprojekt „Weiße Ware, der Körper und der Schmutz. Historische Betrachtung über Körperpflege und Energiekonsum im Privathaushalt“ das Badezimmer als Ort des Energiekonsums zum Ausgangspunkte ihrer Untersuchung und betrachtet die Geschlechterrollen im Vollzug von Sauberkeit und eines gepflegten Körpers. Sie greift das Konzept des Regimes, die kulturelle Grammatik der tatsächlichen Nutzung von Dingen, von Elisabeth Shove auf, um zu untersuchen, wie sich der Raum der Körperpflege definiert, welche Produkte auftauchen und verschwinden, sowie welche Handlungen sich vollziehen. In der Diskussion wurde darauf verwiesen, dass das Badezimmer nicht nur ein Raum der Technik sei, sondern auch ein Raum, in dem Technik und Natur zusammentreffen. Ein weiteres Objekt steht im Zentrum des Promotionsprojektes Caetano da Rosas „Geschichte der ersten Operationsroboter aus der Sicht der Akteur-Netzwerk-Theorie“. Sie untersucht das Verhältnis von Mensch und Maschine aus einem Latourschen Blickwinkel und identifiziert verschiedene menschliche und nichtmenschliche Aktanten, um das Verhältnis zwischen beiden aufzudecken. Dadurch kann sie nicht nur Menschen als Aktant fassen, sondern auch Medien, Justiz und letztlich den Roboter selbst und kommt zu dem Schluss, dass weder ein Mediziner noch eine Maschine handelt, sondern vielmehr ein Hybrid: ein Roboter-Chirurg oder Chirurgenroboter. In der Diskussion wurde angemerkt, das historische Interesse der Arbeit könnte darin liegen, das Scheitern neu zu definieren.

In ihrem Habilitationsprojekt „Geschlecht, Arbeit, Technik im Zucht- und Arbeitshaus St. Georgen am See 1713-1830“ untersucht HELENE GÖTSCHEL (Uppsala) die hier vorherrschenden Lebens- und Arbeitsbedingungen, um die Konstruktion und Repräsentation von Männlichkeit und Weiblichkeit durch die Analyse der Zuschreibung technischer Tätigkeiten und Kompetenzen nachzuzeichnen. In dem noch am Anfang stehenden Projekt ist noch offen, inwiefern die Zucht- und Arbeitshäuser als ein Ort aufgefasst werden können, in dem die bestehenden Geschlechterordnungen eingeübt wurden.

Ein klassisches Thema der Technik- und Wissenschaftsgeschichte nimmt sich MATTHIAS PÜHL (München) zum Thema seiner Dissertation „Patente und geistiges Eigentum in der Entstehungsphase der Industrie der Technischen Gase“. Pühl nimmt an, dass Patente in der Gründungs- und Frühphase der untersuchten Industrie wesentlich zur Entwicklung der bis heute dominanten Marktstrukturen beitrugen. Er folgt der These, dass Patente wichtig für die Entstehung und Entwicklung dieser Industrie waren, aber gleichzeitig ein personalisiertes Wissen entscheidend war. In der Diskussion wurde auf den von Natur aus unpräzisen Untersuchungsgegenstand des nicht formalisierbaren Erfahrungswissens, der begrifflich schärfer zu fassen ist, verwiesen. Auch in KNUT STEGMANNS (Zürich) Dissertationsprojekt „Das Bauunternehmen Dyckerhoff & Widmann. Zu den Anfängen des Betonbaus in Deutschland 1865-1918“ spielen die Wissensgenerierung und die daran beteiligten Akteure eine wichtige Rolle. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass neue Bauaufgaben zu Innovationen führten, die Grundlagen der neuen Baustoffe jedoch nicht unbedingt von Ingenieuren oder Architekten stammten. Anhand des Bestrebens der untersuchten Firma, den unzuverlässigen Baustoff zu verbessern, und entlang der Einrichtung eines internen Firmenlabors geht er der firmeninternen Wissensproduktion nach, die entscheidend für die Entwicklung des Baustoffes war. In der Diskussion wurde deutlich, dass die Untersuchung der Parallelen in der Entwicklung Deutschlands und den USA hinsichtlich des jeweils spezifischen Wissenstransfers vielversprechend seien.

ANNIKA MENKE (München) untersucht in ihrem Projekt „Digitalisierung und Individualisierung. Moderne Informationstechnologien und die Veränderung der Interaktion zwischen Lebensmitteleinzelhandel und Konsumenten in der New Food Economy“ die Beeinflussung der Interaktion zwischen Konsumenten und dem Lebensmitteleinzelhandel durch die Einführung des Barcodes. Menke nimmt den Supermarkt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Blick und greift methodisch auf Fach-, Firmen- und Verbraucherzeitschriften sowie leitfadengestützte Experteninterviews zurück. Die vorgestellte Entwicklung des Barcodes und dessen Einfluss auf Handel und Konsumenten weisen bis jetzt jedoch kaum Brüche und Konflikte auf. Internationale Verflechtungen ganz anderer Ausprägung sind Thema des Promotionsprojektes von SIMONE MÜLLER (Berlin) „Die transatlantische Telegrafenverbindung und die Verkabelung der Welt: Kulturelle Netzwerke und epistemische Gemeinschaften im maritimen Raum 1858-1914“. Ausgangspunkt ist die Annahme einer Verdichtung des internationalen Raums, der Homogenisierung und Zentralisierung wirtschaftlicher und kultureller Phänomene durch die 1866 fertig gestellte dauerhafte Telegraphenleitung zwischen Alter und Neuer Welt. Müller benutzt einen Akteurszugang, indem sie die Menschen hinter den Maschinen in den Blick nimmt und von einer nationalen Konnotation der Seekabel ausgeht. Sie untersucht Unternehmensakten, persönliche Nachlässe, Zeitungen und Regierungsakten aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada und den USA, um einen globalgeschichtlichen Zugang zu ermöglichen. In der Diskussion wurden das Verhältnis der untersuchten Quellen und der Anspruch, eine Geschichte zu entwerfen, die nicht von einer Verwestlichung der Welt ausgeht, ambivalent bewertet. Denn die von Müller untersuchten Akteure stammten aus der westlichen Welt. Müllers Projekt besitzt jedoch das Potential, dem Verhältnis von Nation und Globalisierung in neuer Weise nachzugehen.

STEFANIE PREISSLER (Freiberg) widmet sich in ihrer Dissertation „Zwischen Staat, Stadt, Wirtschaft und Gesellschaft. Das Beziehungsgeflecht der Bergakademie Freiberg in der Zeit der Weimarer Republik“ der Institutionengeschichte dieser Bildungseinrichtung. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges kam es zu einem Umbruch im Zusammenspiel von Hochschule, Wirtschaft und Staat. Die Bergakademie konnte ihre Position durch den Aufbau eines Netzwerkes, welches über die Hochschulgrenzen hinausreichte, halten. Zu eruieren bleibt die Frage, wie dieses regionale Fallbeispiel Rückschlüsse auf die Selbstdarstellung der Akademie, sowie die allgemeine Hochschulentwicklung Deutschlands zulässt. Einem Zusammenspiel von Technik und Staat ganz anderer Art geht CORNELIA FABIAN (Freiberg) in ihrem Projekt „Zur Entwicklung des Laserinnovationssystems der Materialbearbeitungslaser in Deutschland 1960 bis 1995“ nach. Sie möchte ein besseres Verständnis für die Entstehung von Innovationssystemen erreichen und identifiziert drei Hauptakteure dieses Prozesses: Industrie, Wissenschaft und Staat. Weiterer Untersuchung bedürfen der Anwenderbereich sowie eine Abgrenzung zum US-amerikanischen Mark, in dem die Lasertechnik durch das Militär eine starke Förderung in den 1960er- und 1970er-Jahren erfuhr. Den Einfluss staatlicher Entscheidungen für die Technikentwicklung geht auch, aus der Politikwissenschaft stammend, PHILIPP HERTZOG (Darmstadt) in seinem Promotionsprojekt „Demokratisierte Strukturen? Politische Entscheidungsprozesse in Nachkriegsgesellschaften: Verkehrsplanung in Frankreich und der Bundesrepublik im Vergleich“ nach. Hertzog beschäftigt sich mit dem Prozess der Planungs- und Entscheidungsfindung und zeichnet die Strukturen der Demokratie durch die Untersuchung ihrer Infrastruktur nach. Er schlägt eine Brücke zwischen Technikgeschichte und Politikwissenschaft. Entscheidend sei die unauflösliche Bindung zwischen langfristiger Planung und Infrastrukturen, denn technisch manifestierte Infrastrukturen sind kaum rückgängig zu machen. Zu überdenken bleibt, ob eine Trennung zwischen Straßenplanung und Eisenbahn die thematische Ausrichtung zuspitzen kann, denn in der öffentlichen Debatte beider Teilbereiche sind unterschiedliche Perspektiven und Traditionen zu vermuten.

Dieses Projekt verdeutlicht die in fast allen vorgestellten Forschungsvorhaben hervortretende Öffnung der Technikgeschichte gegenüber anderen Teildisziplinen der Geschichte und weiteren wissenschaftlichen Disziplinen. Durch diese Öffnung, den reflektierten und methodisch wohl durchdachten Umgang mit vielfältigen Inhalten, theoretischen Konzepten und Methoden können neue und vielschichtige Erkenntnisse erzielt werden. Das Forum ermöglichte den Austausch von Erfahrungen und den Vergleich der eigenen Arbeit auch durch die Präsentation von Projekten, die unterschiedlich weit fortgeschritten waren. Dieses erstmals durchgeführte und erfolgreiche Modell eines Treffens junger Nachwuchswissenschaftler/innen mit Unterstützung und hilfreichen Kommentaren durch erfahrene Technikhistoriker/innen soll im zweijährigen Rhythmus fortgesetzt werden.