Geschlecht und Konsum. Workshop und Regionaltreffen des Arbeitskreises für Historische Frauen- und Geschlechterforschung (AKHFG)/Region Bayern
26.02.2010-27.02.2010, München
Bericht von: Christine Hikel, Fakultät für Sozialwissenschaften, Historisches Institut, Universität der Bundeswehr München
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Der Workshop "Geschlecht & Konsum" beschäftigte sich mit der Frage nach dem Zusammenhang von Konsumgütern und -praktiken und Geschlechterverhältnissen und -ordnungen. Denn obwohl Frauen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eher selten über "eigenes" Geld verfügten - die Verfügungsgewalt über Geld also männlich war - war Konsum weiblich konnotiert. Organisiert wurde die vom Genderzentrum der TU München geförderte Tagung von der Regionalgruppe Bayern des Arbeitskreises Historische Frauen- und Geschlechterforschung (AKHFG).
KARIN ZACHMANN (München) bot in ihrer Einführung einen knappen Überblick zur Geschichte von Geschlecht und Konsum und zeigte dabei eine Entwicklung auf, die von der Vergeschlechtlichung des Konsumenten am Ende des 19. Jahrhunderts bis hin zur Vergeschlechtlichung des Konsumobjekts seit dem späten 20. Jahrhundert reichte. Damit waren auch die Leitlinien für die Veranstaltung gelegt.
Mit der Frau als Werbefigur beschäftigte sich NICOLA DROPMANN (Kiel) im ersten Vortrag. Am Beispiel von britischen Werbeanzeigen für Autos um 1900 legte sie dar, dass Autoproduktion und -anschaffung zwar männlich konnotierte Felder waren. Die Vorstellung von der Frau als Konsumentin führte jedoch dazu, dass Frauen in den Anzeigen sehr präsent waren. Die Rolle der Frau als Konsumentin machte sie zur interessanten Adressatin von Werbung, so Dropmanns These.
Ebenfalls ein Fahrzeug - das Fahrrad - stand im Beitrag von ANNE-KATRIN EBERT (Wien) im Mittelpunkt. Sie untersuchte das Verhältnis von Fahrrad und Emanzipation. Ebert zufolge fordern Objekte von ihren Nutzern und Nutzerinnen ein bestimmtes Handlungsprogramm. Im Falle des Fahrrads seien dies vor allem Körperherrschung und Selbstständigkeit. Obwohl sich bestimmte etablierte Rollenmuster auch beim Fahrradfahren durchsetzten, etwa durch die Parallelisierung von Spaziergang und Spazierfahrt mit dem Rad, konnte Ebert auch Verschiebungen herausarbeiten: So führte die Vorstellung, dass der weibliche Konsum den sozialen Status des Mannes anzeigt, im Falle des Fahrrads zu einem emanzipatorischen Dilemma. Dies hing eng mit dem Objektstatus des Fahrrads zusammen. Obgleich das Fahrrad als Objekt die Eigenständigkeit seiner Nutzer/innen forderte, war es eben auch Konsumgut, dessen Anschaffung mit der Bestätigung des sozialen Status des (besitzenden) Mannes verbunden war.
Einen Werkstattbericht lieferte MANUEL SCHRAMM (Chemnitz). Sein transnational angelegtes Forschungsprojekt beschäftigt sich mit den Veränderungen von Geschlechterrollen durch den Massenkonsum seit den 1950er-Jahren. Schlaglichtartig beleuchtete er die in Werbung und Frauenzeitschriften angebotenen Rollenmodelle für Männer und Frauen. Am Ende standen eine Reihe offener Fragen: Lässt sich hier von Amerikanisierung sprechen? Wie sahen die Konsumpraktiken aus? Wie lässt sich eine Rezeption der in den Medien angebotenen Rollenmodelle festmachen? Die anschließende Diskussion thematisierte - auch in Anlehnung an den Vortrag von Nicola Dropmann - die Problematik von Werbung als Quelle und regte an, mehr nach den Produzent/innen von medialen Erzeugnissen wie Werbeanzeigen und Zeitschriften zu fragen, um die Quellen so an Akteure und deren Intentionen zurückzubinden.
KIRSTEN BÖNKER (Bielefeld) stellte die sowjetische Konsumentin der
1960er- bis 1980er-Jahre in den Mittelpunkt ihres Vortrags. Sie legte dar, wie die Bürger der Sowjetunion durch Briefe und Eingaben an das Fernsehen ritualisierte Kritik an den Konsummöglichkeiten übten, ohne dabei jedoch das System an sich in Frage zu stellen. Das Konsumversprechen Chruschtschows hatte Konsum zu einem dezidiert politischen Feld gemacht, über das in den Eingaben an das Fernsehen verhandelt werden konnte. Bönker stellte heraus, dass Konsum auch von den Diskrepanzen zwischen dem Idealbild der Frau als gleichberechtigtem 'sozialistischen Menschen' und der patriarchalischen Ordnung in den meisten Haushalten entscheidend beeinflusst war. Frauen sei deshalb die Rolle als Konsumentinnen von Waren und Dienstleistungen zugefallen, weil die Versorgung des Haushalts überwiegend sie betraf. Für die Zuschauerpost hatte diese ungleiche Verteilung jedoch die Folge, dass bis Ende der 1970er-Jahre vor allem Männer Briefe schickten, auch weil diese über mehr Freizeit verfügten und deshalb das Medium Fernsehen häufiger nutzten als Frauen. In der Diskussion warf das Beispiel Sowjetunion die Forderung nach einer begrifflichen Klärung und Konzeptionalisierung von "Konsum" auf, die unterschiedliche politische Systeme berücksichtigt.
Die nonverbale Genderkommunikation von Schaufensterpuppen präsentierte TOM BIELING (Berlin). Er untersuchte am Beispiel von Schaufensterdekorationen verschiedener Kaufhausketten aus unterschiedlichen Preis- und Zielgruppensegmenten die darin durch Körpersprache ausgedrückten weiblichen Rollenvorstellungen. So konstatierte er eine in den Schaufenstern zur Schau gestellte Diversifikation der Rollenmodelle und eine geschlechtsinterne Pluralität. Je nach Zielgruppe und Preissegment überwiege die selbstbewusste, eher 'männliche' Frau oder ein weicher, zurückgenommener, eher 'weiblicher' Frauentyp.
ELSBETH BÖSL (München) beschäftigte sich mit dem technischen Objekt Muttermilchpumpe und der sich daran anlagernden soziokulturellen Verknüpfung von Körper, Technik und Geschlecht. Sie parallelisierte die technische Entwicklung von Muttermilchpumpen mit den Diskursen über Elternschaft, Stillen und Säuglingsernährung. Dabei konnte sie eine immer stärkere Vergeschlechtlichung des Objekts Muttermilchpumpe feststellen, die sich mehr und mehr von einem Medizinprodukt hin zu einem vom Leitbild der 'modernen Frau' und ihrem Lebensstil geprägten Lifestyle-Produkt entwickelte. In der Diskussion wurde darauf verwiesen, dass der Prozess, das Design von Medizintechnik an das von Lifestyle-Produkten anzupassen, eine allgemein festzustellende Entwicklung sei.
Abschließend untersuchte DANIEL HORNUFF (München) den gewandelten Umgang mit Schwangerschaft am Beispiel prominenter Frauen. Bis Anfang der 1990er-Jahre - als Demi Moore hochschwanger auf dem Cover der "Vanity Fair" posierte - sei Schwangerschaft vom Rückzug der werdenden Mutter aus der Öffentlichkeit und von der Verhüllung des "Kugelbauches" geprägt gewesen. Bis in die Gegenwart hinein stellte Hornuff dagegen eine zunehmende Zurschaustellung der Schwangerschaft in der Öffentlichkeit und den Medien fest. Schwangerschaft sei nun ein Garant für mediale Aufmerksamkeit. Die Diskussion thematisierte die mit diesen Veränderungen verbundenen Anforderungen nach Attraktivität und Aktivität, die mittlerweile auch an die schwangere 'Normalfrau' herangetragen worden seien. Dabei wurde, auch in Rückgriff auf den Vortrag von Elsbeth Bösl, darauf verwiesen, dass in der reflexiven Moderne der Möglichkeitsraum größer geworden sei, der nun aber auch einfordere, genutzt zu werden, indem man unter den angebotenen Lebens- und Lebensstilmodell auswählen müsse.
Der zweite Tag des Workshops begann mit einem Werkstattbericht von SABINE FLICK und LOTTE ROSE (Frankfurt am Main). Sie präsentierten erste Erkenntnisse und noch offene Fragen aus dem Forschungsprojekt "Doing Gender im kulinarischen Kontext", das die Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit im "kulinarischen Kontext" untersucht. Als Quellen dienen ihnen 155 Fernsehwerbespots für Nahrungsmittel. An ausgewählten Beispielen zeigten Flick und Rose auf, wie Nahrungsmittelkonsum geschlechtsspezifisch inszeniert wird und welches Essverhalten bzw. Verhältnis zu Essen sich darin wiederfindet.
Auch SUSANNE HOFFMANN (Stuttgart) beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit dem Thema Essen. Sie untersuchte anhand von Autobiografien aus deutschsprachigen Ländern den Umgang mit Essen als individuelle Konsumpraktik und seine Veränderungen im Laufe des 20. Jahrhunderts. Sie stellte heraus, dass die Thematisierung von Essen in den von ihr untersuchten Autobiografien eine bedeutende Rolle spiele und vor allem dann größeren Raum einnehme, wenn Essen von Mangelerfahrung geprägt ist, so etwa während der Weltkriege. Susanne Hoffmann hob zwei Typen von Essstilen hervor: den periodisch-unkultivierten Essstil und den diszipliniert-kontrollierten. Ersterer habe vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dominiert, als Ernährungsarmut für breite Bevölkerungsschichten die Regel gewesen sei. So sei es zu einem periodischen Wechsel von Hunger und unkontrolliertem Nahungsmittelkonsum gekommen. Sie wies darauf hin, dass die patriarchalische Struktur in den Haushalten dazu führte, dass Personen mit niedrigem sozialen Status und Frauen bei der Nahrungsverteilung grundsätzlich schlechter gestellt waren. Hoffmann konnte so auch eine geschlechtsspezifische Ernährungsdiskriminierung ausmachen. Allerdings sei diese in den Autobiografien lange Zeit nicht als solche thematisiert, sondern vielmehr durch Rechtfertigungsstrategien legitimiert worden. Erst bei den ab etwa 1930 geborenen Autor/innen wurde diese im Kontext des steigenden Wohlstands häufiger thematisiert und kritisiert, so Hoffmann. Der zunehmende Wohlstand und die bessere Nahrungsversorgung seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts habe auch zu einem Umschwung in den Essstilen geführt und den diszipliniert-kontrollierten Umgang mit Essen zum gängigen Verhaltensmuster gemacht. Dieser zeichne sich durch einen bewussten Umgang mit dem Überflussprodukt Essen und dem Aufkommen von gezielten Diäten zur Gewichtsabnahme aus. Das Fazit Hoffmanns: Geschlecht sei ebenso wie andere soziale Kategorien entscheidend für den Zugang und den Umgang mit Nahrungsmitteln.
BETTINA BLESSING (Stuttgart) ging in einem chronologischen Längsschnitt vom Mittelalter bis in die Gegenwart dem geschlechtsspezifischen Arzneimittelkonsum nach. Sie zeigte, wie die verschiedenen medizinischen Sichtweisen auf den Körper und seine Funktionen immer wieder die Entstehung von geschlechtersensiblen Verschreibungspraktiken von Medikamenten beeinflussten. Zugleich machte sie deutlich, dass zum Teil die Quellen selbst den Blick auf geschlechterspezifische Fragen erschwerten oder gar unmöglich machten, weil sie patriarchalische Geschlechterbilder reproduzieren, etwa weil - beispielsweise im 18. Jahrhundert -wesentlich weniger Frauen zu Ärzten gingen und Medikamente deshalb von Männern für den gesamten Haushalt angeschafft wurden.
Im abschließenden Vortrag beleuchtete LENA CHRISTOLOVA (Konstanz) die Geschichte des It-Girls. Der Film "It" (dt. "Das gewisse Etwas") aus dem Jahr 1927 "erfand" Christolova zufolge die Figur des It-Girls in Gestalt der Schauspielerin Clara Bow. Christolova machte deutlich, dass der Begriff "It" zunächst sowohl für Männer und für Frauen benutzt wurde. Der mit dem "It"-Begriff verbundene Starkult um einzelne Personen habe dazu beigetragen, dass diese Stars verstärkt Waren-Status erhielten. Diese Nähe zur Ware zeige sich an der zunehmenden Vermarktung und der damit verbundenen Wiedererkennung des "Produkts" It-Girl.
Die Schlussdiskussion thematisierte noch einmal die wesentlichen Erkenntnisse der Tagung, aber auch die Fragen und Probleme, die offen geblieben waren. Kritisch angemerkt wurde, dass Geschlechtergeschichte immer noch vor allem als Geschichte über Frauen geschrieben werde. Die Vorträge hatten zudem gezeigt, dass Konsumgeschichte auch als Medienwissenschaft angelegt sei, sodass hier methodischer Klärungsbedarf herrsche. Darüber hinaus wurde darauf verwiesen, dass über eine geschlechtergeschichtliche Betrachtung ganz unterschiedliche Ebenen wie die Frage nach der Normierung von Konsum, vom Umgang mit Konsumgütern und den Konsumpraktiken miteinander verknüpft werden könnten.
Die Tagung spiegelte somit nicht nur den Stand der Dinge in Sachen Konsumforschung, sondern regte auch dazu an, Grundlagen und Forschungsansätze zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Konsum und Geschlecht erwiesen sich dabei als analytische Leitbegriffe für ein spannendes Forschungsfeld.