Staat, Bergbau und Bergakademie – Montanexperten des 18. und frühen 19. Jahrhunderts
Veranstalter: Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte (Universität Regensburg) und Institut für Wissenschafts- und Technikgeschichte (Technische Universität Bergakademie Freiberg); gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft
Datum: 20. – 22. Februar 2009, Freiberg
Bericht von: Axel Rüthrich, TU Bergakademie Freiberg
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Vom 20. bis 22. Februar fand das internationale Symposium zum Thema „Staat, Bergbau und Bergakademie – Montanexperten des 18. und frühen 19. Jh.s“ in Freiberg statt. Geladen hatten die Betreuer des gleichnamigen DFG-Projektes - Prof. Dr. Christoph Meinel vom Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte an der Universität Regensburg und Prof. Dr. Helmuth Albrecht vom Institut für Wissenschafts- und Technikgeschichte der Technischen Universität Bergakademie Freiberg. Rund 50 Tagungsteilnehmer aus Universitäten, Museen und Forschungseinrichtungen waren dem Ruf gefolgt und beschäftigten sich in fünf Sektionen mit Montangeschichte der Sattelzeit unter wissenschafts-, sozial-, institutionen-, verwaltungs- und innovationsgeschichtlicher Perspektive.
Die erste Sektion eröffnete BERND HAUSBERGER (Mexiko Stadt) mit einem Vortrag über das Wirken des Baron Ignaz von Born als Wissenschaftler und über die Versuche eines Technologietransfers von Mitteleuropa nach Hispanoamerika. Im Fokus seiner Betrachtung standen dabei die den hispanoamerikanischen Silberbergbau betreffenden Modernisierungsbemühungen seitens der spanischen Krone in der zweiten Hälfte des 18. Jh.s. Das im 16. Jh. in Mexiko entwickelte und im 18. Jh. in Österreich durch Baron Ignaz von Born verbesserte Amalgamationsverfahren sollte durch einen geplanten Technologietransfer die Verhüttung der Silbererze in den spanischen überseeischen Territorien reformieren. Dieses Projekt scheiterte nach Hausbergers Ausführungen, einerseits an wechselseitigen Vorurteilen zwischen Mexikanern und Europäern und andererseits an unterschiedlichen geologischen Gegebenheiten, die eine Anwendung des Bornschen Amalgamationsverfahrens in Neuspanien nicht zuließen.
MARIANNE KLEMUN (Wien) analysierte im zweiten Vortrag des Tages den Beitrag habsburgischer Bergverwaltungsbeamter am Transfer montanistischen Spezialwissens. Vor allem auf Grundlage der Reise- und Absentierungslizenzen der obersten Bergbehörde in Wien stellte Klemun für den gewählten Zeitraum den „Transfer von Personen“ als Faktor der Verbreitung praktischen Wissens innerhalb der Habsburger Monarchie dar. Die Reiseaktivitäten der Bergbaubeamten waren dabei nicht nur ein wichtiges Kriterium für die Verbreitung des Wissens, sondern auch ein wesentliches Instrument der Vermehrung montanistischer Kenntnisse für die Reisenden. Die Auswahl der Reiseziele orientierte sich nach Klemuns Ausführungen an den Sektoren und Regionen, die von den Zeitgenossen als innovativ wahrgenommen wurden.
HJALMAR FORS (Stockholm) betrachtete unterschiedliche Wege, die der schwedische Staat nutzte, um montanistisches Fachwissen aus dem Ausland nach Schweden zu transferieren. Aufbauend auf den allgemeinen Entwicklungslinien des schwedischen Montanwesens im 18. Jh. legte Fors die Wege des montanistischen Wissenstransfers und die dabei hervortretenden Probleme dar. Die Anstellung ausländischer Montanexperten als „reisende Projektleiter“, die Durchführung von Studienreisen schwedischer Bergbeamter, die Diskussion montanwissenschaftlicher Themen in europäischen Fachzeitschriften und der Einsatz emigrierter, gut ausgebildeter Bergleute im schwedischen Bergbau wurden als wichtige Instrumente im Wissenstransferprozess herausgestellt.
Den norwegischen Weg des montanistischen Wissenstransfers ab der zweiten Hälfte des 18. Jh. brachte BJÖRN IVAR BERG (Kongsberg) in seinem Vortrag zum Ausdruck. Vor allem am Beispiel zweier Studenten des Bergseminars in Kongsberg (Ole Henckel und Jörgen Hiort) belegte Berg die norwegische Praxis, montanistisches Fachwissen durch Studienreisen in europäische Bergbauzentren zu erwerben. Beide Studenten übernahmen nach ihrer Rückkehr nach Norwegen führende Positionen in der Bergbauverwaltung und konnten so ihr im Ausland erworbenes Fachwissen zur Rationalisierung des norwegischen Montanwesens nutzen.
Den Abschluss des ersten Tages bildete ein öffentlicher Festvortrag von JAKOB VOGEL (Köln). Vogel stellte darin unter drei verschiedenen Schwerpunkten die Breite montanistischer Wissenskultur in Europa im Zeitalter der Aufklärung dar. Im ersten Teil standen Betrachtungen zur Etablierung montanistischer Wissenschaften und zur Herausbildung einer montanwissenschaftlichen Elite vor allem auf der Grundlage staatlicher Verwaltungsreformen kameralistischer Prägung im Mittelpunkt. Anschließend thematisierte Vogel Konflikte und regionale Unterschiede, die sich im Gefolge der vorgenannten Entwicklungen herausbildeten. Im abschließenden Teil des Vortrages skizzierte der Referent den weiteren Verlauf montanwissenschaftlicher Professionalisierung und Institutionalisierung unter dem Einfluss der gesellschaftlichen Wandlungsprozesse des ausgehenden 18. und der ersten Hälfte des 19. Jh.s. Die zunehmende Nationalisierung montanistischer Entwicklungen war dabei ein prägendes Charakteristikum der Montanhistorie Europas im 19. Jh. Zukünftige Forschungsaufgaben sieht Vogel vor allem in einer differenzierteren Darstellung regionaler Prozesse und deren Kontextualisierung im Gesamtbild der europäischen Montankultur des 17. und 18. Jh.s.
Den zweiten Tag und die zweite Sektion leitete MICHAEL FESSNER (Bochum) mit seinem Vortrag über die Knappschaft im märkischen Steinkohlenrevier (1767-1854) ein. Das Beispiel der staatlich initiierten Einrichtung einer Bergknappschaft für die Grafschaft Mark dokumentierte, so Fessner, den Versuch Preußens den märkischen Steinkohlenbergbau durch das Direktionsprinzip verstärkt in seine Wirtschaftspolitik einzubinden. Wesentliches Ziel der knappschaftlichen Organisation war dabei die Herausbildung und Sicherung eines qualifizierten und disziplinierten bergmännischen Stammpersonals für die märkischen Gruben, die auch durch Abwerbung von Bergleuten aus anderen Bergrevieren erreicht werden sollte. Regionale Widerstände, nicht nur seitens der privaten Bergbaubetreiber, sondern auch der Bergleute selbst, verhinderten eine vollständige Durchsetzung des Direktionsprinzips und eine Etablierung des Knappschaftssystems in der Grafschaft Mark.
Einen in erster Linie programmatischen Beitrag für die europäische Geldwirtschafts- und
Montangeschichtsschreibung lieferte der Vortrag von OLIVER GLIECH (Berlin). Die Quantifizierung neuspanischer Silberströme nach Europa und der Entzug des Silbers aus Europa durch Ostasien stellen nach Gliech ebenso ein Forschungsdesiderat dar, wie die Einordnung und Analyse dieser Faktoren im Kontext der europäischen Montangeschichte. Im zweiten Teil seines Beitrages, wurden Ursachen und Wirkungen der spanischen Reformbestrebungen thematisiert, die auf eine Steigerung der Effizienz des mexikanischen Minensektors abzielten.
ALFRED WEISS (Wien) widmete sich in seinem Vortrag den staatlichen Maßnahmen zur Förderung des Bergbaus im Alpenraum im 18. und zu Beginn des 19. Jh.s. Am regionalen Model des Hochgebirgsbergbaureviers Schladming erläuterte Weiß die konkreten Möglichkeiten staatlicher Einflussnahme zur Reformierung und Unterstützung des Montanwesens nach dem Siebenjährigen Krieg. Wesentliche Instrumente waren die Schaffung neuer Bildungseinrichtungen, die staatliche Beteiligung an Gruben und Hütten und die Gewährung von Steuervergünstigungen.
Die Eröffnung der dritten Sektion übernahm URSULA KLEIN (Berlin) mit ihrem Vortrag über maßgebliche Persönlichkeiten in den ersten Jahren der Bergakademie Berlin. Am Beispiel von Carl Abraham Gerhard erläuterte Klein, welche Rolle ein führender Bergbeamter bei der Etablierung wissenschaftlicher montanistischer Ausbildung im preußischen Bergstaat spielte. Wesentliches Merkmal der frühen Ausbildung an der Bergakademie Berlin war die bisystemische oder auch hybride Ausrichtung der Lehre, welche sich gleichzeitig in der Vita von Carl Abraham Gerhard niederschlug. Die praktisch-technisch orientierte Montanausbildung stand dabei auf einer Stufe mit dem theoretisch-wissenschaftlichen Montanunterricht.
CHRISTOPH BARTHELS (Bochum) zeigte für das Montanwesen des Harzes das Beispiel einer Karriere in der technischen Verwaltung im 18. Jh. Der Harzer Oberbergmeister Georg Andreas Stelzner und die Montanwissenschaften in der zweiten Hälfte des 18. und am Beginn des 19. Jh.s wurden in Bartels Vortrag in direkten Zusammenhang gesetzt. Obwohl Stelzner keine akademische Ausbildung durchlief, belegen seine umfangreichen Aufzeichnungen, dass er sich im Selbststudium Kenntnisse auf aktuellem montantechnischem Niveau aneignete. Dies befähigte ihn dazu, die grundlegenden Probleme des Harzer Montanwesen am Ende des 18. Jhs. zu lösen, wie Bartels am Beispiel des Baues des „Tiefen Georg-Stollens“ darstellte.
Den Abschluss der dritten Sektion bildete der Vortrag von PETER SCHIMKAT (Kassel). Schimkat setzte den Werdegang des Mineralogen Dietrich Karsten dabei in Kontext mit der Herausbildung der wissenschaftlichen Disziplin Mineralogie in der ersten Hälfte des 19. Jh.s. Das Beispiel Karstens zeigt zum einen die enge Verbindung der Wernerschen Mineralogie mit dem Montanwesen. Zum anderen stellt es heraus, dass die Wernerschen Prinzipien der Mineralogie mit den modernen Vorstellungen einer Trennung in theoretische und angewandte Wissenschaft nicht korrespondierten.
In der vierten Sektion stellte zuerst BERND FRITSCHER (München) die Geschichte der Geowissenschaften in den Kontext des Symposiumsthemas. Im Vortrag wurden die geologisch-mineralogischen Wissenschaften englischer und deutscher Prägung miteinander verglichen. Während die deutsche Entwicklung eng an die Montanwissenschaften gebunden war, entwickelte sich die englische Methode auf Grundlage von Naturbeobachtungen im Gefolge der wissenschaftlichen Reisen des aufgeklärten Landadels. Die herausragende Persönlichkeit des Werner-Schülers Christian Leopold Freiherr von Buch kann dabei als die Mittlerinstanz zwischen beiden Systemen gelten.
Im Mittelpunkt der Betrachtungen von ANDREAS KLEINERT (Halle) stand der Hallenser Johann Joachim Lange. Lange war von 1724 bis 1765 Professor für Mathematik an der Universität in Halle. Daneben bot er über einen längeren Zeitraum montanistische Privatvorlesungen an. Auch wenn Lange für die Mathematik unbedeutend blieb, so spielte er doch nach Darlegung Kleinerts für die Herausbildung eines naturwissenschaftlich fundierten Studiums der Montanwissenschaften im 18. Jh. eine Vorreiterrolle.
Abgeschlossen wurde diese Sektion durch den Vortrag von NORMAN POHL (Freiberg). Seine Überlegungen zum Wirken von Wilhelm August Lampadius (1772-1842) an der Bergakademie Freiberg stellte Pohl unter die Frage einer möglichen interdisziplinären Ausdifferenzierung. Die Wirkungszeit von Lampadius in Freiberg war geprägt durch eine große Erweiterung des Fächerspektrums chemischer Ausrichtung im Lehrangebot der Bergakademie. Pohl wies nach, dass das breit gefächerte chemische Lehrangebot von Lampadius nicht als Ausdifferenzierung neuer Wissenschaftsdisziplinen zu werten ist. Auch wenn der wissenschaftliche Charakter der chemischen Forschungen von Lampadius außer Frage steht, können dessen unterschiedliche Beschäftigungen auf Teilgebieten der Chemie am treffendsten mit dem Begriff der Persönlichkeitsentfaltung charakterisiert werden.
MICHAEL ENGEL (Berlin) eröffnete die fünfte Sektion mit seinem Vortrag über die preußischen Bemühungen zur Einführung einer geregelten Ausbildung im Montanwesen ab der zweiten Hälfte des 18. Jh.s. Im Zuge der Verwaltungsreformen Friedrichs II. kam es 1770 zur Gründung einer höheren Lehranstalt montanistischer Ausrichtung in Berlin. Ausgehend von grundlegenden strukturellen Defiziten bei der Schaffung der Lehranstalt hob Engel die Unzulänglichkeit dieser Einrichtung hervor, die eigentlich die Ausbildung qualifizierten montanistischen Nachwuchses gewährleisten sollte. Abschließend stellte Engel fest, dass die Gründungsphase der Bergakademie Berlin formell erst mit dem ersten Statut von 1860 als abgeschlossen gelten kann.
Im zweiten Vortrag der Sektion betrachtete HARTMUT SCHLEIFF (Freiberg) am sächsischen Beispiel die Funktionselite der Montanexperten unter dem Gesichtspunkt ihrer sozialen Mobilität. Der Referent zeigte am Beispiel der Professoren und Lehrer der Bergakademie sowie anderer Verwaltungseinheiten des Bergstaats wie dem Bergamt Johanngeorgenstadt und der Maschinendirektion, wie sehr Bildung und familiäre Herkunft die Aufstiegschancen beeinflussten. Die Expansion der Beamtenschaft und der naturwissenschaftlich-technischen Ausbildungsangebote begünstigten die soziale Mobilität, wie Schleiff anhand eines repräsentativen Samples von Akteuren des oben genannten Personenkreises nachweisen konnte. Der Aufstieg dank individueller Leistung prägte somit die Laufbahn der Montanexperten. Diese meritokratische Ordnung wurde durch ein Stipendiensystem und die Förderung ausgewählter Bergschulabsolventen gestützt, die die Gelegenheit erhielten, an der Bergakademie zu studieren.
MIROSLAV KAMENICKÝ (Bratislava) betrachtete in seinem Vortrag die Tradition vorakademischer Montanausbildung im niederungarischen Bergbau als Teil der Habsburger Monarchie. Grundlage der 1735 gegründeten Bergschule von Banska Stiavnica, die als direkter Vorläufer der späteren Bergakademie gelten kann, waren Regularien und Instruktionen, welche im Zusammenhang mit der Errichtung der Bergschule in Jachymov im habsburgischen Böhmen bis 1733 erlassen wurden. Auf der Basis des für Jachymov ausgearbeiteten und für Banska Stiavnica modifizierten Fächerkanons wurden an der Bergschule von 1735 bis zur Gründung der Bergakademie Bergbeamte für den mittleren Bergverwaltungsdienst in Niederungarn ausgebildet.
Im letzten Vortrag des Symposiums trug PETER KONEČNÝ (Regensburg) zur montanistischen Ausbildung in der Habsburger Monarchie von 1763 bis 1848 vor. Wesentliche Inhalte seines Referates waren die Darstellung und Bewertung der Grundstrukturen und der Alltagspraxis der montanistischen Ausbildung in den Ländern der Habsburger Monarchie und vor allem an der Bergakademie Banska Stiavnica. Auch der Einfluss der kameralistischen Wissensordnung auf Unterrichtsinhalte und Ausbildungsstrukturen standen im Fokus seiner Betrachtungen. Die präsentierten Ergebnisse belegen in besonderem Maße eine starke lokale und kameralwissenschaftliche Orientierung der Konzeption der Lehre an der Bergakademie Banska Stiavnica. Vor allem die enge Einbindung in den niederungarischen Bergstaat wirkte sich hemmend auf die Etablierung einer montan- und naturwissenschaftlich fundierten Ausbildung aus.
In der Abschlussdiskussion wurden wesentliche Erkenntnisse der breit gefächerten Beiträge der Referenten unter dem Gesichtspunkt der Entstehung und Entwicklung der Montanwissenschaften im 18. und frühen 19. Jahrhundert zusammengefasst. Ein entscheidender Einfluss auf die Herausbildung dieser neuen Wissenschaften wurde, neben der geistigen Emanzipation im Zuge der Aufklärung, vor allem der Ökonomie und den damit verbundenen Wandlungsprozessen zugebilligt. Die Kameralisierung der Universitäten und die Erkenntnis der wirtschaftlichen Nützlichkeit von Wissen waren treibende Kräfte im Prozess der Entstehung der Montanwissenschaften.