Europeanization, Globalization, Americanization, Sovietizatin - Conceptual Tools of Framing the History of Europe
Veranstalter: Helmuth Trischler, Deutsches Museum München; Karin Zachmann, Technische Universität München
Datum, Ort: 08.09.2008-13.09.2008, München
Bericht von: Philipp Aumann, Forschungsinstitut, Deutsches Museum
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Im Rahmen des EUROCORE Programms “Inventing Europe. Technology and the Making of Europe, 1850 to the Present” der European Science Foundation (ESF) [1] organisierten Helmuth Trischler und Karin Zachmann am Deutschen Museum eine Summer School für Doktoranden und Postdoktoranden. Ziel war, die titelgebenden „-izations“ als methodische Hilfsmittel für Historiker zu präsentieren. Damit sollten die Arbeiten der einzelnen Teilnehmer hin zu transnationalen, europäischen oder globalen Perspektiven geschärft werden. Im gleichen Zug wurden die Nachwuchsforscher auch mit der Leitfrage des ESF-Forschungsprogramms und des europäischen Netzwerks für Technikhistoriker „Tensions of Europe“ [2] nach der Bedeutung von Technik für die Einigung Europas vertraut.
Das Feld der Europäisierung wurde von JOHAN SCHOT (Eindhoven) in einer Vorlesung vorgestellt, die auf das Problem einer einheitlichen und globalen Geschichte Europas unter technikhistorischer Perspektive abzielte.[3] Zwei Aspekte waren ihm von besonderer Bedeutung: zum einen wies er darauf hin, dass ein Eurozentrismus oder gar ein Westeuropa-Zentrismus vermieden und stattdessen Europa als vielfach in sich und nach außen vernetzter Raum verstanden werden müsse. Zum anderen machte er die Zuhörer mit dem Problem der „Shared History“ vertraut, die auf das simultane Erscheinen von Ereignissen, Phänomenen oder Ideen an unterschiedlichen Orten trotz derer offensichtlich unterschiedlicher politischer Strukturen, Bildungssysteme und Kulturen abzielt.
Anschließend an die Vorlesung stellten die Teilnehmer ihre thematisch zugehörigen Projekte vor. Die grenzüberschreitenden Flüsse von Menschen, Wissen und Gütern sowie die Versuche, solche Flüsse zu kontrollieren, zeigte etwa EMILIYA KARABOEVA (Sofia/Eindhoven) anhand bulgarischer LKW-Fahrer als Beispiele versteckter europäischer Integration. Ein Fallbeispiel für Technologie als Grundlage und Voraussetzung für diese Flüsse bildete die Planung und der Bau des Donau-Oder-Elbe-Kanals, über den JIRI JANAC (Prag) arbeitet. Hier wurde den Anwesenden deutlich, dass technische Großprojekte und europäische Einigungsbestrebungen trotz gemeinsamer internationaler und sogar blockübergreifender Anstrengungen scheitern konnten. Der europäische Einigungsprozess dürfe deshalb nie als ein linearer oder gar teleologischer betrachtet werden.
RAYMOND STOKES (Glasgow) sprach über Sowjetisierung, die eine komplementäre oder konkurrierende Bewegung der, aber auch ein methodisches Vorbild für die Europäisierung darstellt.[4] Sie erschien niemals als einheitlicher oder abgeschlossener Prozess, sondern als Nebeneinander teils intentionaler, teils nicht intentionaler Prozesse auf institutioneller oder kultureller Ebene. Wie im Fall der Europäisierung wurde auch die Sowjetisierung von Flüssen von Akteuren, Wissen und Gütern verantwortet. Stokes zeigte insbesondere, dass die Vereinheitlichung industrieller Normen einen sowjetischen Raum nach innen formte und nach außen abschloss.
Das bulgarische Atomprogramm, das IVAYLO HRISTOV (Plovdiv/Eindhoven) vorstellte, und die Architektur in Albanien, über die ELIDOR MEHILI (Princeton) arbeitet, sind Beispiele, wie die Sowjetisierung sowohl als „Hard Power“ wie auch als „Soft Power“ wirkte: Die Entwicklungen in beiden Ländern wurden einerseits durch tatsächliche sowjetische Technologie, andererseits durch die Übernahme sowjetischer Organisationsstrukturen geprägt.
In ihrer Vorlesung über Amerikanisierung betonte RUTH OLDENZIEL (Eindhoven) die Parallelen der amerikanischen zur sowjetischen Herrschaftsstruktur.[5] Beide Mächte waren post-imperialistische, die ihren Einfluss durch Ausweitung ihres wirtschaftlichen Systems geltend machten und deshalb um materiellen Fortschritt in ihrer Einflusszone bemüht waren. Auf dieser wirtschaftlichen Ebene interagierten die Mächte auch miteinander. Wie die Sowjetisierung war auch die Amerikanisierung in der westlichen Welt kein einheitlicher Prozess, sondern wirkte unterschiedlich je nach sozialem und kulturellem Kontext und veränderte sich über die Zeit.
Dass Amerikanisierung außerdem kein Fluss von Akteuren, Wissen und Gütern, kein Fluss von Innovationssystemen und Konsumverhalten in nur der einen Richtung von den USA nach Europa, sondern eine bidirektionale Entwicklung war, zeigten MICHELLE MOCK (Pittsburgh) und TERJE FINSTAD (Trondheim) in ihren Beiträgen über Küchentechnologien in den USA bzw. Gefriertechnologien in Norwegen.
Dem weitesten und unschärfsten Feld, der Globalisierung, nahm sich HELMUTH TRISCHLER (München) an.[6] Wie in den anderen Fällen handle es sich auch hierbei um einen offenen und heterogenen Prozess, der unterschiedlich definiert wird und dem unterschiedliche Bedeutungen zugemessen werden. Der Begriff provoziere aber in jedem Fall Fragen nach Inklusion und Exklusion, Zentren und Peripherien sowie nach Machtverhältnissen. Er zwinge auch dazu, das Lokale und Regionale in den Blick zu nehmen und dieses nach seinen Interaktionen mit dem Globalen zu befragen.
Dass regionale Interessen und interregionale Verhandlungen oft von globalen Interessen beeinflusst wurden, bestätigte etwa ANNA ÅBERG in ihrer Darstellung der schwedisch-dänischen Verhandlungen über die Gasversorgung.
Die Rolle des Nationalstaats dürfe trotz der Zunahme transnationaler Verflechtungen und bei aller Begeisterung des Historikers für diese neue Ebene nicht übersehen werden, so das zentrale Postulat in den Ausführungen KARIN ZACHMANNS (München).[7] Sie sprach darüber, wie der Nationalstaat unter dem Eindruck transnationaler Prozesse transformiert wurde – und zwar nicht nur erodiert, sondern in bestimmten Fällen auch gestärkt. Vor allem aber ist er nirgends verschwunden. Auf ökonomischer, juristischer und politischer Ebene ist er immer noch ein bedeutender Akteur und muss in historischen Analysen berücksichtigt werden.
Die Bedeutung nationaler Interessen und Machtstrukturen gerade auf dem Gebiet von Innovation, Technisierung oder allgemeiner Modernisierung, demonstrierte YIANNIS GARYFALLOS (Athen) in seinen Ausführungen über die Elektrisierung Griechenlands. Am Beispiel des bulgarischen Joghurts, über den ELITSA STOILOVA (Plovdiv/Eindhoven) vortrug, wurde den Teilnehmern deutlich, dass nationale Spezifika und Stereotypen sogar befördert werden, um bestimmte Konsumgüter zu vermarkten.
Die verschiedenen „-izations“ traten in der historischen Realität nie so getrennt auf, wie sie in den Vorlesungen behandelt wurden, sondern überlappten sich häufig und beförderten sich sogar hin und wieder. Dies zeigte besonders HELENA DURNOVA (Brünn) anhand ihrer Fallstudie über die Einführung von Computern in der Tschechoslowakei. Hier wurde ein nationalstaatliches Projekt von sowjetischen Interessen, Direktiven und Technologien beeinflusst. Es orientierte sich aber genauso an amerikanischem Wissen und versuchte, in einem Weltmaßstab konkurrenzfähig zu sein. Durnova betonte, dass demnach alle in der Summer School behandelten Prozesse als Analysekategorien für ihr historiographisches Projekt dienten.
Die Konzeption der Summer School mit dem Wechsel von theoretisch-methodischen Vorlesungen durch Professoren und den Vorträgen der Teilnehmer zu ihren empirischen Studien erwies sich als äußerst fruchtbar. Dadurch konnten alle Nachwuchswissenschaftler ihre Projekte an ein wichtiges Feld aktueller Geschichtsschreibung rückbinden und sich nach den transnationalen Dimensionen ihrer Arbeit befragen. Sie konnten trotz unterschiedlicher Ansätze und unterschiedlicher nationaler Verortungen Gemeinsamkeiten in ihren Zugängen zur Technikgeschichte feststellen. Inhaltlich und personell trugen sie damit zum Aufbau einer europäischen Technik-Geschichtsschreibung bei.
Als inhaltliches Ergebnis blieb stehen, dass die Konzepte der Europäisierung, Amerikanisierung, Sowjetisierung und Globalisierung helfen, historische Phänomene nach ihrer Verflochtenheit in verschiedenen geographischen Räumen und ihrer Gewordenheit durch verschiedene Einflüsse zu befragen, sei es durch „Soft Power“ oder „Hard Power“. Dazu müssen konkrete Fragen an die Phänomene herangetragen werden: Was genau ist amerikanisch, sowjetisch, europäisch an einem historischen Phänomen, oder was wurde im historischen Kontext dafür gehalten?
Anmerkungen:
[1] <www.esf.org/activities/eurocores/programmes/inventing-europe.html> (18.11.2008).
[2] <www.tensionsofeurope.eu> (18.11.2008).
[3] Weiterführend z.B. Johann P. Olsen, The Many Faces of Europeanization, in: Journal of Common Market Studies 40 (2002), S. 921-952.
[4] Weiterführend z.B. Raymond Stokes, In Search of the Socialist Artefact. Technology and Ideology in East Germany, 1945-1962, in: German History 15 (1997), S. 221-239.
[5] Weiterführend z.B. Richard Kuisel, Americanization for Historians, in: Diplomatic History 24 (2000), S. 509-515.
[6] Weiterführend z.B. Michael Geyer / Charles Bright, World History in a Global Age, in: The American Historical Review 100 (1995), S. 1034-1060; Micol Seigel, Beyond Compare: Comparative Method after the Transnational Turn, in: Radical History Review 91 (2005), S. 62–90.
[7] Weiterführend z.B. Charles S. Maier, Transformations of Territoriality 1600-2000, in: Gunilla Budde (Hrsg.), Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien, Göttingen 2006, S. 32-55.