Sport und Technik
Veranstalter: Verein Deutscher Ingenieure e. V., Bereich Technikgeschichte
Datum, Ort: 07.02.2008-08.02.2008, Düsseldorf
Bericht von: Catarina Caetano da Rosa, Lehrstuhl für Geschichte der Technik, RWTH Aachen
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Am 7. und 8. Februar 2008 fand in Düsseldorf die technikgeschichtliche Jahrestagung des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) zum Thema „Sport und Technik“ statt. Den Schwerpunkt der Tagung bildete das 20. Jahrhundert. Eingeladen waren nicht nur Referentinnen und Referenten aus der Technikgeschichte, sondern auch Vortragende aus der Sportsoziologie und Kulturwissenschaft. Sport als hochtechnisiertes menschliches Handeln sollte an der Schnittstelle zwischen Körper, Technik und Ideologie historisch kritisch untersucht werden.
WALTER KAISER (Aachen) eröffnete die Vortragsreihe mit visuellen Impressionen. In der Gegenüberstellung von älteren und neueren Sportgeräten verdeutlichte er Umbrüche im Sportbetrieb, die sich an Hand neuer Materialien und Geometrien abzeichnen. Daraus folgten auch veränderte körperliche Praktiken (etwa beim Stabhochsprung, Skifahren oder Wildwasserkajak). Momente der Verwissenschaftlichung machte Kaiser an aerodynamischen Untersuchungen und ingenieurwissenschaftlichen Simulationsmethoden für Sportgeräte fest. Zuletzt führte er am Paradebeispiel des Olympia-Stadions in München vor, wie zu Sportzwecken vollkommen künstliche Landschaften entstehen.
Vor dem Hintergrund der Industrialisierung sprach STEFAN POSER (Hamburg) über die Entwicklung des Rudersports. Das Rudern entwickelte sich in England zu einer populären Sportart, als es im ausgehenden 18. Jahrhundert keine wirtschaftlichen Zwecke mehr erfüllte. Mitte des 19. Jahrhunderts übernahm der europäische Kontinent diese Wassersportart. Sie war typischerweise auf Stadtmenschen zugeschnitten, die ihr Bewegungsglück in der Natur suchten. Als sich das Rudern langsam zu einem Elite- und Zuschauersport entwickelte, stiegen die Wetteinsätze bei Regatten. Dies beeinflusste die Technisierung der Sportart, denn um die Gewinnchancen zu erhöhen, bauten die Sportler die ursprünglichen Transportboote zu immer kleineren und leichteren „Zigarrenkistchen“ um. An Schnelligkeit gewannen die Ruderboote auch dadurch, dass die festen Rudersitze in den 1950er-Jahren durch die Gleit- bzw. Rollsitze ersetzt wurden. Der Optimierungsprozess der Rudertechnik ist bis heute nicht abgeschlossen.
RALF PULLA (Dresden) hielt in seinem Beitrag fest, dass Bobrennen (besonders in der Schweiz) um 1900 für reiche Touristinnen und Touristen entdeckt und gepflegt wurden. Dieser Freizeitspaß war alles andere als rustikal, denn die Bobs verließen die Materiallabors als Hochleistungsmaschinen. Fortan bestand das symbolische Kapital eines Bobs in der Selbstdarstellung von europäischen Industrienationen. Für die DDR untersuchte Pulla ein Netzwerk von zwölf Institutionen, die zwischen 1975 und 1990 zur Verwissenschaftlichung des Bobfahrens beitrugen. Diese Zeitspanne unterteilte er in vier Perioden: Zuerst war die Bobschlittenentwicklung vom Einkaufen und Nachbauen von Technik bestimmt; danach zeichneten sich Produktinnovationen ab; dies zog die Forderung nach einer Reglementierung der Sportgeräte nach sich und zuletzt bewährte sich der Bobschlitten als Exportartikel. Die Abschlussthese lautete, dass der Bobsport zur Zeit des Kalten Krieges auch als Zeichen für die Fortschrittlichkeit der DDR gedeutet werden sollte.
Die Ausgangsthese des Vortrags von HANS-JOACHIM BRAUN (Hamburg) lautete: Wenn der Taylorismus der 1920er-Jahre in Deutschland eine Rolle spielte, dann könnten die Zeit- und Bewegungsstudien auch den Fußball betroffen haben. Die Anfänge des modernen Fußballspiels lagen in England. Braun betonte, dort seien es die Arbeiter gewesen, die den Fußball zu einer Wissenschaft entwickelten und nicht die Akademiker. Am Beispiel von „Deutschland gegen England“ hob der Referent national unterschiedliche Fußballstile hervor. Während in Deutschland zunächst „geistige Klimmzüge“ von Nöten waren, um die Nation der Turnerinnen und Turner an die neue Sportart zu gewöhnen, so fand die Professionalisierung in England schon früher statt. Braun führte besonders Herbert Chapman (1878-1934) ins Feld: Dieser Fußballtrainer schrieb internationale Sportgeschichte, indem er Ideen von Taylor übernahm. Er propagierte Effizienz durch organisiertes Spiel, systematische Spielbeobachtung, Einübung einzelner Spielzüge, Rückennummern für Spieler, überdachte Stadien und anderes mehr.
NOYAN DINÇKAL (Darmstadt) befasste sich in seinem Beitrag weder mit Sportarten noch mit Materialien, sondern mit den Orten des Sporttreibens. Sportstätten definierte er als multifunktionale Räume, die dem Konsum, der Repräsentation und dem Wettkampf dienten. Die Technisierung der Stadien ermöglichte den Leistungs- und Zuschauersport, der (im Zirkelschluss) wiederum neue Technisierungsschübe zur Folge hatte (was sich im Ausbau der die Sportplätze umgebenden Infrastruktur wie Zubringerstraßen, Parkplätze und Kioske äußerte). Zur Zeit der Weimarer Republik sollte das deutsche Stadion den Wettkampfbetrieb, das Publikum und den Breitensport vereinen. Doch dieses Konzept scheiterte: Erstens sprengte es die internationalen Standards, und zweitens taugte es für Zuschauerinnen und Zuschauer nicht, weil es so groß war, dass man nichts mehr sah. Diese Fehlkonstruktion hatte neue Gesetze und Fachliteratur zur Folge. Die Grundidee jedoch, den Sport an einem einzigen Ort auszuführen, blieb bis heute erhalten.
SONJA APEL (Berlin) behandelte die Geschichte der Uhr, die sich vom Schmuckstück zu einem technischen Instrument (zum Beispiel Marinechronometer) entwickelte. Seit 1831 war es möglich, Zeiger anzuhalten und zurückzusetzen. Ab 1850 baute man in den Vereinigten Staaten Sportchronometer, die zuerst für Pferderennen eingesetzt wurden. Die Olympischen Spiele wiederum führten zu einer Perfektionierung der Sportzeitmessung. Apel zeigte Bilder von Zeitnehmertreppen, auf denen sich für jede Sportlerin und jeden Sportler drei Stopper befanden. Nach einem Lauf wurden die drei Stoppuhren miteinander verglichen. Die elektronische Zeitnahme ersetzte die mechanische jedoch erst im Jahre 1968! Ob es sinnvoll erscheint, sportliche Leistungen auf Hundertstelsekunden genau zu messen, stellte Apel abschließend in Frage.
BRITT SCHLEHAHN (Leipzig) sprach vom Skispringen, das sich „aus dem Geiste der Technik“ verändert habe. Dies betraf sowohl die Artefakte (zum Beispiel künstliche Schanzen) als auch die Athletinnen und Athleten (zum Beispiel Sprungtechniken). Die veränderte Wahrnehmung des Skispringens demonstrierte die Referentin an ostdeutschen Kinderbüchern: Wenn Sportlerinnen und Sportler zu Beginn noch wie „Möwen“ sprangen, so flogen sie später wie „Adler“. Nach Schlehahn entwickelte sich die Sprungtechnik parallel zur Entwicklung von Otto Lilienthals (1848-1896) Flugapparaten. Doch in der DDR gab es auch Kritik: Das Skispringen wurde als Verbindung von kapitalistischem Profitstreben und Romantik abgekanzelt. Andererseits wurde der Bau einer Schanze als Symbol für die Kraft der Arbeiterklasse gefeiert. Einzelne Talente wurden zu Helden stilisiert, wie zum Beispiel Helmut Recknagel (1937-) als „Skispringsputnik“. Ausschlaggebend für Rekorde waren nicht nur ein kompaktes Körpergewicht (mit der Gefahr der Anorexia athletica) und eine aerodynamische Körperhaltung, sondern auch sportspezifische Anzüge, Brillen und Helme, die der Internationale Skiverband (FIS) verordnete.
Wie sich der Stufenbarren für Kunstturnerinnen durch Erfindergeist, Turnerfahrungen und technische Innovationen entwickelte, schilderte SWANTJE SCHARENBERG (Frankfurt) im Detail. Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) entdeckte das Reck im Jahre 1812 als Turngerät, dessen Prinzip man später auf den Stufenbarren übertrug. Auf dem so genannten „Olympia-Barren“, dessen Holm für Frauen einfach höher gestellt wurde, turnten diese erstmals im Jahre 1936. Das Material war aber so ungeeignet, dass Holme brachen. Dies forderte Tüftler heraus, eine verspannte, aus vier Pfosten bestehende Konstruktion zu entwickeln. Andere Anpassungen betrafen die Biomechanik des Turnens, das seit den 1980er-Jahren durch immer androgyner werdende Turnerinnen geprägt wurde. Bis sich eine neue Idee mit einer Zertifizierung des Internationalen Turnverbands (FIG) durchsetzt, dauert es in der Regel acht Jahre. Die Olympischen Sommerspiele von 2012 werden erneut eine Plattform bieten, um Weiterentwicklungen im Kunstturnen vorzustellen.
Die Diskurse rund um die Biomechanik untersuchte STEFAN ROHDEWALD (Passau) im sowjetisch-amerikanischen Vergleich. Die Anfänge datierte er auf die 1920/30er-Jahre, als Dichter den mechanisierten „neuen Menschen“ besangen. In der Sowjetunion ging es nach Rohdewald nie nur um Mechanik oder Sport, sondern immer auch um das „richtige“ materialistische Weltbild. Die Vereinigten Staaten hingegen zeichneten sich durch eine pragmatischere Einstellung aus, die sich an den Problemen der Turner orientierte. Das junge Fach war ein umkämpftes Feld und institutionalisierte sich sowohl im Osten als auch im Westen erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Referent stellte fest, dass die Disziplin „ins Fahrwasser der Kybernetik“ geriet und als universale Sprache sowohl des Kommunismus als auch des Kapitalismus beschrieben wurde. In der westlichen wie östlichen Presse entstand aber auch ein Gegendiskurs, der das Streben, körperliche Grenzen durch neue Trainingsmethoden zu überwinden, als Tendenz zur Technokratie kritisierte.
STEFAN WIEDERKEHR (Warschau) behandelte die vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) gestellte Frage, „was olympisch gesehen eine Frau“ sei. Seine These lautete, dass die aus der Zeit des Kalten Krieges stammende Problematik der „Gender Verification“ deshalb entstand, weil sozialistische Sportlerinnen eine Männerdomäne des westlichen Spitzensportes stürmten. 1968 geschah es, dass eine polnische Sprinterin den Geschlechtertest nicht bestand. Die Sportverbände werteten dies als Betrug und schlossen die Polin mit dem Argument von den Spielen aus, sie sei keine Frau. Die Presse machte daraus einen Skandal, der wiederum auf wissenschaftliche Fachartikel abfärbte. Wiederkehr schloss daraus, dass die öffentlichkeitswirksam verbreitete Technikeuphorie über das im Labor bestimmbare chromosomale Geschlecht so stark auf die Sportmediziner wirkte, dass diese ihr erkenntnistheoretisches und ethisches Gepäck über Bord warfen. Zuletzt stellte der Referent die zweigeschlechtliche Trennung im Sport in Frage, weil theoretisch andere Modelle denkbar wären (zum Beispiel nach Gewichtsklassen).
Als letzter Referent definierte ARND KRÜGER (Göttingen) das „Doping“ „als Substanzen oder Methoden, die zum Zeitpunkt der Verwendung auf dem Index stehen“, im Gegensatz zu erlaubter „Substitution“. Aus historischer Sicht wurde deutlich, dass sich Dopingregeln ändern (so galt Koffein einst als unerlaubte Substanz). Krüger nahm für die Dopingsubstanzen eine Periodisierung vor: Auf eine Epoche der Schmerz mildernden Substanzen sei eine Zeit der Aufputschmittel gefolgt, worauf man Anabolika konsumiert und Blutmanipulation praktiziert habe. Heutzutage sei die Ära der individualisierten Optimierung angebrochen. Anzumerken ist, dass die Forschungsliteratur, die vor Gesundheitsschäden durch Doping warnt, in dem Vortrag nicht erwähnt wurde.
Einige Vorträge zeigten, dass sportliche Triumphe manchmal über die Ausrüstung errungen werden, was (etwa im Segelsport) zu regelrechten „Materialschlachten“ führen kann. Angesichts dieser Entwicklung berichtete WOLFGANG KÖNIG (Berlin) von einer Gegenbewegung, die das überzogene technische Moment aus dem Sport nehmen will, um wieder Menschen gegeneinander antreten zu lassen. Swantje Scharenberg (Frankfurt) resümierte, dass Technik immer mehr auf den Körper verlagert werde und letztlich der Körper als Instrument erscheine. Diese Voten aus der Plenumdiskussion erinnerten daran, dass während der ganzen Tagung zwei unterschiedliche Technikbegriffe zur Debatte standen: Sowohl die Körper- als auch die Gerätetechnik. Gerade weil der moderne Sport ohne diese beiden Technikarten undenkbar bleibt, erscheint es umso wichtiger, das Korsett dieses Zusammenhangs zu sprengen und es genauer zu untersuchen. Trotz methodischer Stolpersteine und dürftiger Schriftquellen, die sich oft nur an Fans richten, haben die VDI-Vorträge gezeigt, wie aufschlussreich es sei kann, das Forschungsfeld von „Sport und Technik“ im interdisziplinären Zugriff zu bearbeiten.
Konferenzübersicht:
Stefan Poser: Die Technisierung des Rudersports seit Ende des 19. Jahrhunderts
Ralf Pulla: Kalter Krieg im Eiskanal – Die Entwicklung der Bobschlitten in der DDR
Hans-Joachim Braun: Der „Buddha“ und sein Professor – Zur Verwissenschaftlichung der Fußballtaktik
Noyan Dinçkal: Sportparks, Mustersportplätze und Stadien – Die Konstruktion von Sportlandschaften in der Weimarer Republik
Sonja Apel: Messung von Leistung, Zeit und Weg – Das technische Messinstrument, die Stoppuhr
Britt Schlehahn: Bretter, Schanzen und Rekorde – Die Formung des Skispringens und des Skispringers aus dem Geiste der Technik
Swantje Scharenberg: Der „Olympia“-Barren – Eine Frage von nationalem Turnstil und Erfindergeist
Stefan Rohdewald: Wettrüsten im Sport dank biomechanischer Perspektiven? Zur Forcierung des technisch-mechanischen Blicks auf den Sport in der Sowjetunion und in den USA nach 1945
Stefan Wiederkehr: Wer ist „olympisch“ gesehen eine Frau? Geschlechtertests, Sportmedizin und Technikeuphorie
Arnd Krüger: „Und welche Sachen nimmst Du?“ – Diaethik, Substitution und Doping im 20. und 21. Jahrhundert