Turbulente Körper und soziale Maschinen
Veranstalterinnen: Dipl.-Math. Corinna Barth, Dipl.-Bio. Smilla Ebeling, Dr.phil. Jutta Weber in Verbindung mit dem FB Informatik/ Zentrum für feministische Studien der Universität Bremen und dem Historischen Seminar (Wissenschafts- und Technikgeschichte) der Universität Braunschweig.
Datum, Ort: 05.07.2002-07.07.2002, Bredbeck
Bericht von: Sylvia Pritsch
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"Embodied Agents of Life- and Cyberscience: Turbulente Körper und soziale Maschinen" Arbeitstagung vom 5.-7. Juli 2002 in Bredbeck, veranstaltet von Dipl.-Math. Corinna Barth, Dipl.-Bio. Smilla Ebeling, Dr.phil. Jutta Weber in Verbindung mit dem FB Informatik/ Zentrum für feministische Studien der Universität Bremen und dem Historischen Seminar (Wissenschafts- und Technikgeschichte) der Universität Braunschweig.
Welche Körper werden im Kontext der Life- und Cyberscience figuriert? Wie formieren sich Körper und Maschinen gegenseitig und werden sie dabei geschlechtlich und sozial neu codiert? Diese Fragen sind angesichts der fortschreitenden Entwicklung in der Robotik, der Artificial-Life-Forschung bzw. Bioinformatik ein drängendes Thema. Die Veranstalterinnen luden einen buntgewürfelten TeilnehmerInnen-Kreis mit dem Ziel, an der Schnittstelle von Wissenschafts – und Kulturforschung, Informatik und Geschlechterstudien möglichst vielfältige Perspektiven zu gewinnen, welche einen differenzierteren Blick jenseits von simpler Technikfeindlichkeit oder unkritischer Technikgläubigkeit erlauben.
Den Auftakt bildeten zwei inspirierende Vorträge der Wissenschaftsforscherinnen N.Katherine Hayles (Los Angeles) und Lucy Suchman (Lancaster). N.Katherine Hayles, nicht nur Naturwissenschaftlerin sondern auch Professorin für Literatur- und Medienwissenschaft, berichtete von den neuesten Entwicklungen der Artificial-Life-Forschung. Ihr besonderes Augenmerk galt den Erzählungen über den Stellenwert von Bewusstsein und Denken in der neueren Robotik und ihren möglichen Auswirkungen auf die Bestimmung des Menschlichen. Unter dem Titel Computing the Human vertrat sie die These, dass thinking durch computing abgelöst wird, wodurch das Denkvermögen gegenüber Fühlen (Sensoring) und Handeln (Acting) abgewertet wird - und damit auch die Rationalität des Handelns in einer spezifischen Umwelt.
Lucy Suchman, die lange als Ethnologin im Xerox's Palo Alto Research Center gearbeitet hat, sprach über ihre Forschung zur Interaktivität zwischen Mensch und Maschine. Sie stellte die aktuellen Entwicklungen von sogennanten software agents vor - Hilfsprogramme, die in personifizierter Gestalt durch Suchprogramme, kommerzielle Web-Angebote etc. führen -, sowie von tragbaren (mobilen) Apparaten und "intelligent environments". Diese Technologien, so Suchmans These, verbinden aufs Vortreffliche die Versprechen auf Mobilität und Familiarität: Stets zu Diensten ermöglichen diese Programme den UserInnen Ortswechsel, ohne dass der vertraute Grund verlassen werden muss. Anstatt nun das Master-Slave-Verhältnis weiter zu tradieren, das sich darin verbirgt (speziell, wie Suchman herausfand, in Gestalt des Upper-Class-Familienideals), plädierte die Rednerin für einen Umgang mit den Maschinen, der den je spezifischen sozio-materiellen Beziehungen Rechnung trägt.
Der nächste Tag gestaltete sich unkonventionell: Anstatt weiteren Vorträgen zu lauschen, wurden in drei Arbeitsgruppen auf der Grundlage zuvor eingereichter und verteilter Positionspapiere unterschiedliche Themenkomplexe diskutiert: In der ersten Arbeitsgruppe ging es unter dem Titel "Sozialität mit Menschen und Maschinen" um die Gestaltung von sog. "Hybridgemeinschaften" aus menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren. Im Zentrum stand dabei die Frage der Grenzziehung zwischen Mensch und Maschine, wie sie auch Suchman in ihrem Vortrag ansprach. Die zweite Arbeitsgruppe "Im/Materialität oder der Mythos vom Verschwinden des Körpers" befasste sich mit der Funktion, die der phantasmatischen Rede angeblicher Entkörperungen und den zu beobachtenden, nun auch explizit technisch verfassten Verkörperungen zukommt. In der dritten Arbeitsgruppe stand die Frage "Emergenz - Formalisierung des Unverfügbaren?" zur Diskussion. Als neueste Variante zur Bezeichnung des Lebendigen hat der Begriff der Emergenz zur Zeit Konjunktur. Es wurde versucht, diesen Begriff in seinen unterschiedlichen – biologischen, kybernetischen, historischen – Ausprägungen zumindest ansatzweise fassbar zu machen.
Handfeste Ergebnisse oder abgesicherte Forschungsthesen waren bei dieser "experimentellen" Vorgehensweise der offenen Diskussion natürlich nicht zu erwarten. Aber genau diese Herangehensweise, die es erlaubte, Standpunkte zu erproben und auch zu verwerfen, erwies sich angesichts des relativ neuen Forschungsgebiets als hilfreich und anregend. Allerdings wurde am Ende auch der Ruf nach Fallstudien laut, also nach einer konkreten Diskussionsgrundlage. Dies hätte eventuell auch geholfen, den üblichen Verständigungsschwierigkeiten beizukommen, die sich trotz aller Bemühungen um Transdisiplinarität hartnäckig hielten. Techniksoziologische und kunsthistorische, naturwissenschaftliche und philosophische Perspektiven kamen da nicht immer zusammen. Leider blieb nicht genug Zeit, um die Differenzen, die sich auch hinter dem Label "kulturwissenschaftlich" auftun, zu benennen.
Als ein interessantes Ergebnis aller drei Arbeitsgruppen fiel auf, dass feministische Theorien und Wissenschaftskritiken die Basis der Diskussionen bildete, diese jedoch mehr oder weniger ohne die Kategorie Gender (oder gar Race) auskamen. Während Gender noch eine Voraussetzung für die Frage nach der Verfasstheit der Körper (AG 2) darstellt, so verschwand sie sowohl in der Diskussion um Hybridgemeinschaften (AG 1) als auch um Emergenz (AG 3). Insbesondere das (kulturwissenschaftlich) relativ unbestellte Feld der Emergenz wirft die spannende Frage auf, wie und wo sich bedeutungsstiftende Geschlechterrelationen verbergen (sofern man nicht anzunehmen gewillt ist, sie seien spurlos verschwunden) bzw. umgekehrt, inwieweit die Kategorie Gender modifiziert werden muss, um aktuelle technowissenschaftliche Entwicklungen angemessen analysieren zu können.
Alles in allem also gute Gründe, dieses Experiment fortzusetzen!
Sylvia Pritsch